Ab in die Tonne: „Lebensmittel sind Drangsalierer“
Köln (dpa) - Ab in den Müll. Tonnenweise werfen Verbraucher Lebensmittel in den Abfall, obwohl sie nicht schlecht sind. Der Kölner Marktforscher und Psychologe Stephan Grünewald begründet das anlässlich des Kongresses „Save Food“ mit einer Hassliebe zu den Produkten.
Warum verschwenden wir so viele Lebensmittel?
Grünewald: „Ich mache mir den Kühlschrank als Gefühlsapotheke voll, um für jede Eventualität gerüstet zu sein. Die Produktvielfalt orientiert sich nicht am Bedarf, sondern dient der Stimmungsprophylaxe. Wenn ich aktiv sein will, kaufe ich ein probiotisches Joghurtgetränk, wenn ich mich beruhigen will, einen süßen Snack und wenn ich Vitalität will, greife ich zum Fruchtsmoothie. Aber jedes Mal, wenn ich den Kühlschrank aufmache, merke ich, diese Produkte gucken mich an und fordern mich auf, etwas zu tun. Das sind also nicht nur Helfer, sondern auch Drangsalierer. Der Prosecco ruft nach Party, das Joghurtgetränk fordert Aktivität. Man hat eine Hassliebe zu den Produkten.“
Und warum werfen Menschen dann Unmengen weg?
Grünewald: „Das Wegwerfen ist sowas wie ein verzweifelter Versuch, sich von den Handlungsappellen der Produkte zu befreien. Da spielt das Haltbarkeitsdatum aus Verbrauchersicht eine ganz, ganz wesentliche Rolle. Das erteilt uns die Absolution, etwas endlich wegwerfen zu dürfen. Mit Karacho in den Abfalleimer. Wenn ich aber alles weggeschmissen habe, halte ich das auch nicht aus. Also gehe ich wieder einkaufen - und bereite mich wieder auf alles vor. Der volle Kühlschrank ist eine Alltagsversicherung und die wollen wir nicht preisgeben.“
Haben wir kein schlechtes Gewissen dabei?
Grünewald: „Doch, das ist immer da. Das ist auch der einzige Hebel, wie man aus diesem Kreislauf wieder rauskommen kann. Man hat schon das Gefühl, durch die vorgelebte Gier schuld daran zu sein, dass Kinder zu dick werden. Oder dass man den Hunger in der Welt mitverantwortet. Dazu belastet der Verpackungsmüll die Umwelt.“