Backende Omas und Studenten: Leise Kaffeehaus-Revolution in Wien
Wien (dpa) - Wiener Kaffeehäuser sind weltweit bekannt und beliebt. Nun sprießen neue Geschäftsideen in der österreichischen Hauptstadt empor. Omas selbst gebackener Kuchen lockt im unkonventionellen Ambiente Schleckermäuler an.
Man hat das Gefühl die Zeit sei stehengeblieben: In den traditionellen Wiener Kaffeehäusern knirscht der Holzboden, wenn ein grantiger (launischer) Kellner eine Melange zur Sachertorte auf den kleinen Marmortisch stellt. Doch einer der Lieblingsorte von Wienern wie Touristen hat kreative Konkurrenz bekommen. Backende Omas und Studenten beleben den Markt rund um kalorienreiche Leckereien.
Das „Blatt der Hausfrau“ liegt neben Tablettenschachteln, die mit Bonbons gefüllt sind, auf den alten Holztischen. Ein Klavier lädt zum Spielen ein, in der Ecke zwitschern zwei Wellensittiche. Über allem schwebt der Geruch handgemachter Mehlspeisen vergangener Tage: Zehn Senioren betreiben zehn Tage lang im Wiener Trendbezirk Mariahilf ihr eigenes, unkonventionelles Kaffeehaus „Vollpension“ und versorgen ihre Gäste nicht nur mit Süßem, sondern auch mit Geschichten aus ihrem Leben. Zwei Wiener Jeans-Maßschneider gestalteten dafür ihre Werkstatt in einen Mehlspeisen-Pup-Up-Store um.
„Meine Familie schaut ja mehr auf ihre Linie, als auf meine Kuchen“, klagt die gebürtige Berlinerin Jutta Warmuth. In dem Kurzzeit-Kaffeehaus namens Vollpension findet sie nun dankbare Abnehmer für ihren Streusel- und Apfelkuchen - garniert mit Anekdoten aus ihrem Leben. Ihre Tochter hat die 75-Jährige auf das Projekt aufmerksam gemacht: „Jetzt komme ich aus dem Reden gar nicht mehr heraus.“
Das war auch das Ziel der Initiatoren, denn die Berührungsflächen zwischen Jung und Alt verschwinden in der Großstadt nach ihrer Ansicht zusehends. „Wir wollen, dass hier alle Generation zusammenkommen“, sagt Michael Lanner. Sein Geschäftspartner, Moriz Piffl, spricht aus eigener Erfahrung: „Seitdem ich in Wien bin, habe ich keine einzige Person über 65 kennengelernt, mit der ich Telefonnummern ausgetauscht habe.“
Und der generationsübergreifende Austausch funktioniert, nicht nur bei eigens initiierten Diskussionsrunden. Während er Filterkaffee brüht, geht der 60-jährige Hannes Lewinski - einziger Mann in der Seniorenrunde - mit der „Pensionskassa“ durch den Raum und bittet um freiwillige Spenden. Eine Rechnung wird niemandem gestellt. „Hier ist es etwas verrückter, als in bürgerlichen Kaffeehäusern, aber das finde ich gut“, sagt Lewinski, der sich sonst als Schauspieler seinen Unterhalt verdient.
Eine etwas andere Idee verfolgen drei Schwestern Mitte Zwanzig aus Vorarlberg mit ihrer „Guerilla Bakery“: Die inkognito backenden Damen, die weder Alter noch Namen preisgeben, lösten in Wien mit ihren Leckereien wie Schoko-Cups mit Himbeeren, Sahne und Pistazien, Apfelstreusel-Cupcakes oder Schoko-Pudding im Glas bereits einen kleinen Hype aus. Wer naschen will, muss bei ihnen geduldig sein: Etwa einmal pro Monat geben die jungen Frauen per Facebook einen Verkaufstermin bekannt, der Ort ist stets ein anderer.
Vorwiegend junge und hippe Naschkatzen warten in einem Veranstaltungsraum im 7. Wiener Bezirk Neubau rund eine Stunde brav in der Schlange, um an die Leckereien zu kommen. „Gibt es sonst keine Backwaren mehr in Wien?“, wundert sich ein vorbeifahrender Fahrradfahrer lautstark. „Wer Kuchen nicht so cool findet wie wir, kann einfach nicht verstehen, wieso wir uns so lange hier anstellen“, sind sich zwei Studentinnen einig. Die Wartezeit scheint auch verkaufsförderlich zu sein: Kaum jemand geht mit nur einem Stück nach Hause. Nach etwa eineinhalb Stunden ist die Aktion wieder vorbei.
„Ich hasse Kochen, aber ich liebe Backen, und nachdem ich selbst am Wochenende in Kaffeehäusern immer so viel Geld für Süßigkeiten ausgegeben habe, dachte ich mir, ich könnte das doch selber machen“, sagt eine Organisatorin. Das erste „Guerilla Bakery“ fand noch in ihren eigenen vier Wänden statt. Dort wurde es aber schnell zu eng. Jetzt ziehen die Schwestern Monat für Monat in ein anderes Lokal, um ihre Süßigkeiten anzubieten.
„Verdienen tun wir dabei nichts, wir achten sehr auf die Zutaten. Aber es ist so ein tolles Gefühl, all die glücklichen Menschen zu sehen“, sagt die Bäckerin, die noch Studentin ist. Täglich zu backen und einen eigenen Laden zu eröffnen, kommt für sie nicht infrage. Die klassische Wiener Kaffeehauskultur solle auch gar nicht ersetzt werden: „Es funktioniert am besten nebeneinander.“
Genug Platz für neue und altbewährte Konzepte sieht auch der 60-jährige Lewinski, der sich über die Abwechslung freut: „Früher war Wien eher fad. Schön, dass es jetzt auch neue Trends gibt.“