Die meisten essen, auch wenn es nicht schmeckt

In einer Umfrage gaben 40 Prozent an, trotzdem die ganze Portion zu verdrücken.

Düsseldorf. „Es ist einem jeden vergönnt, seinen eigenen Geschmack zu haben.“ So schrieb Gotthold Ephraim Lessing, und es bedeutet eigentlich, dass der Mensch beim Geschmack — eben aufgrund seiner Individualität — nicht unbedingt Kompromisse eingeht. Doch der Dichter irrt; denn laut einer Studie der Dr. Rainer Wild Stiftung in Heidelberg ist offenbar genau das Gegenteil der Fall.

Die Ernährungswissenschaftler befragten bundesweit 1000 Männer und Frauen zu ihrem Auswahlverhalten beim Essen — und dabei stellte sich heraus, dass 81 Prozent von ihnen immer wieder Speisen auf dem Tisch haben, die ihnen gar nicht schmecken. Vier von fünf Verbrauchern müssen sich also beim täglichen Essen gegen ihren eigenen Widerwillen stemmen, und der wird nur selten von so speziellen Faktoren wie der Zubereitung oder den beigemischten Gewürzen genährt.

Vielmehr gaben in der Umfrage ein Drittel der Aversionsesser zu, dass sie die jeweilige Speise generell nicht mögen. Sie bekommen also ein Kotelett oder eine Erbsensuppe auf den Tisch — und wissen eigentlich schon vorher, dass es ihnen nicht schmecken wird. Jetzt könnte man vermuten, dass vor allem einkommensschwache Menschen ihre kulinarischen Vorlieben ignorieren, weil sie beim Essenseinkauf limitiert sind.

Auch Senioren könnten — wegen ihres abnehmenden Geschmacksinnes — öfter mal etwas auf dem Teller haben, was sie eigentlich nie gemocht haben. Doch Studienleiterin Liza Hahn betont, „dass weder das Alter noch das Bildungs- und Einkommensniveau einen Einfluss auf die Ergebnisse hatten“. Und das Geschlecht auch nicht: Frauen sind beim Essen genauso wenig zimperlich wie Männer. Was erst Recht die Frage aufwirft, warum sich so viele Menschen über ihre eigenen Geschmacksvorlieben hinwegsetzen.

Dazu existieren bislang nur Vermutungen, denn bei der Speisenwahl spielen sehr viele Faktoren mit. Wie etwa der Ort, wo gegessen wird: In der Kantine muss man essen, was vorgesetzt wird, und auch beim Geschäftsessen traut man sich nicht ohne weiteres, die Mahlzeit zurückgehen zu lassen.

So erstaunlich das Aversionsessen im Grunde schon ist — noch erstaunlicher finden die Heidelberger Forscher, wie hart man dabei gegen sich selbst ist. Ihre Untersuchungen zeigen nämlich: 73 Prozent der Bundesbürger essen trotz ihres Widerwillens einfach weiter — und 40 Prozent essen sogar fast den kompletten Teller leer. Auch das könnte eine Erklärung für das grassierende Übergewicht hierzulande sein.