Hochprozentiger Obstgenuss teilt die Republik

Bodnegg/Hamburg (dpa/tmn) - Obstbrand - das ist für manche im Norden Deutschlands ein Fremdwort. Doch im Süden schwören die Menschen auf die hochprozentigen Destillate aus Apfel, Birne oder Mirabelle.

Genossen werden sie mit fast allen Sinnen: Auge, Nase und Gaumen.

Bodnegg ist eine idyllische Gemeinde zwischen Bodensee und Allgäu. Das Besondere: Der Ort zählt gut 3000 Einwohner - aber mehr als 100 Obstbrennereien. „Die Produkte können sich sehen - und schmecken - lassen“, sagt Claudia Metzler, die Vorsitzende des Verbandes der Klein- und Obstbrenner Südwürttemberg-Hohenzollern. „Die Produktpalette ist immer größer geworden, vor allem bei den Apfelbränden.“ Aber eines bedauert die engagierte Geschäftsfrau: „In Norddeutschland führen die Obstbrände immer noch ein Schattendasein.“

Ob Williams-Christ-Birne oder Apfelbrand aus Elstar, Jonagold, Delicious oder Cox Orange, ob Mirabelle, Zwetschge, Kirschwasser oder Himbeergeist: Im Süden und Südwesten hat der Obstbrand Hochkonjunktur. Rund 30 000 sogenannte Klein- und Obstbrenner sind in acht Landesverbänden vertreten. Meist ist die Brennerei ein Nebenerwerb im Rahmen der Landwirtschaft. Die Familie von Claudia Metzler zum Beispiel betreibt Hopfen- und Obstanbau und hat mehrere Ferienwohnungen. Für die Brennerei ist Sohn Andreas zuständig, er ist Destillateurmeister. Etwa 2000 Flaschen Obstbrand werden pro Jahr verkauft.

„Die meisten Getränke werden in der näheren Umgebung genossen“, erzählt Metzler. „Da packt kaum jemand den Kofferraum des Autos voll und fährt in den Norden.“ Obstbrände gibt es zu vielen Anlässen - nicht nur nach einem guten Essen, sondern zum Beispiel auch als Begrüßungscocktail. „So wie die Leute woanders zur Geburtstags- oder Hochzeitsfeier Sekt mit Orangensaft trinken, ist bei uns der 'Fruchtige Willi' populär“, sagt die Verbandsvorsitzende: „Ein Teil Williams-Christ-Brand sowie je ein Teil Birnensaft, Ananassaft, Orangensaft und Bananensaft.“

Aber auch das Kochen mit Destillaten wissen Genießer im Südwesten der Republik zu schätzen. August Kottmann zum Beispiel, ein mehrfach ausgezeichneter Küchenmeister, ist nicht nur ein begeisterter Brenner. Er verwendet Obstbrände gern auch in der Küche seines Restaurants in Bad Ditzenbach-Gosbach. Ein Beispiel von seiner Speisekarte: Ziegenkitzbraten mit Gewürzapfel-Soße, verfeinert mit Apfeldestillat, frisches Wintergemüse und hausgemachte Kräuterschupfnudeln.

Gut 700 Kilometer weiter nördlich spielt der Obstbrand hauptsächlich in der gehobenen Gastronomie eine Rolle. Olaf Paulat, Manager und Sommelier im Süllberg-Restaurant von Sternekoch Karlheinz Hauser in Hamburg, kann mindestens acht unterschiedliche Sorten präsentieren. „Wer gut essen geht, gönnt sich gern als Digestif einen edlen Brand“, sagt er. Und die meisten dieser Destillate stammen aus dem Süden und Südwesten Deutschlands oder aus Frankreich - auch wenn Paulat vom Restaurant aus über die Elbe direkt in das große Obstanbaugebiet „Altes Land“ blicken kann. Auch dort bieten Obstbauern in ihren Hofläden vielfach eigene Brände an. Der große Obstbrand-Durchbruch im Norden aber blieb bisher aus.

Davon weiß auch der Szene-Barbesitzer Uwe Christiansen aus Hamburg zu berichten. „Hier fragt so gut wie keiner nach Obstbränden“, sagt Christiansen. „Dafür interessiert sich in Süddeutschland kaum einer für Aquavit.“ Schmunzelnd zeigt er eine viele Jahre alte Flasche „Mirabelle“: „Ein echter Ladenhüter.“ Auch in Cocktails haben die Brände bei ihm wenig Chancen. „Sie riechen meist sehr intensiv, bieten aber zum Mixen weniger Geschmack als Liköre“, erklärt das langjährige Mitglied der deutschen Barkeeper-Union und des Leaders Club - einer weltweiten Vereinigung für innovative Gastronomie.

Für die Obstbrenner im Süden und Südwesten bleiben die Trinkgewohnheiten im Norden ein Rätsel. Der Gedanke, dass jemand ihre edlen Destillate „eisgekühlt in einem Stamperl herunterkippt“, bereitet ihnen „gar ein Graus“. „Grundsätzlich werden Obstbrände und -geiste bei Zimmertemperatur serviert. Nur so können sie ihr volles Aroma entfalten“, heißt es in einer Broschüre der Obstbrenner-Landesverbände. „Füllen Sie das Glas bis zu seiner größten Ausdehnung. Lassen Sie sich Zeit und verkosten Sie mit allen Sinnen.“ Für Verbandsvorsitzende Claudia Metzler lautet die Grundregel: „Sehen, riechen, schmecken“.

Zuerst sollte man das Destillat im Glas ansehen und feststellen, ob es klar ist. Dann müsse das Glas geschwenkt und daran gerochen werden („Nicht ex und weg!“), und schließlich werde der erste kleine Schluck genommen. „Genießen Sie den Obstbrand dann langsam in zwei bis drei weiteren Schlucken.“ Und noch einen Tipp geben die Obstbrenner allen Genießern: „Bewahren Sie sowohl angebrochene wie auch ungeöffnete Flaschen stehend und möglichst dunkel auf.“