Immer mehr chronische Erkrankungen bei Kindern
Die Kinder- und Jugendärzte schlagen Alarm: Jedes sechste Kind und jeder vierte Jugendliche leidet heute an einer chronischen Erkrankung. Ein Grund: der medizinische Fortschritt.
Berlin. „Wir haben heute die Chance, mit modernen Medikamenten und anderen Therapien vielen dieser Minderjährigen helfen zu können“, sagte Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte anlässlich des am Freitag gestarteten Verbandstages in Berlin. Chronisch Kranke brauchten neben einer guten medizinischen Versorgung für eine Krankheitsbewältigung allerdings auch pädagogische Angebote, so Fischbach.
Zu den häufigsten chronischen Krankheiten in den jungen Altersgruppen zählen Allergien, Asthma, bronchiale Krebserkrankungen und Übergewichtigkeit. „Die Verführung durch Zucker und Fast Food lauert für Kinder an jeder Ecke“, meinte Klaus-Michael Keller von der Deutschen Klinik für Diagnostik in Wiesbaden. „Es gibt immer zu essen, aber Bewegung ist schwierig“.
Bereits heute ist etwa jedes sechste Kind zu dick. Und jedes 16. leidet an Adipositas, also krankhafter Fettleibigkeit. Nötig sei daher schon eine frühzeitige Aufklärung in Kitas und Schulen, verlangte Keller. Nach Einschätzung des Mediziners ist die wachsende Zahl chronisch kranker Minderjähriger aber auch auf den medizinischen Fortschritt zurückzuführen. Anders als früher erreichten zum Beispiel viele Kinder mit Mukoviszidose, einer seltenen, vererbten Stoffwechselerkrankung, inzwischen das Erwachsenalter. Auch kleine Patienten mit schweren Herzfehlern hätten heute deutlich größere Chancen für ein längeres Leben.
Nach einer Studie des Robert-Koch-Instituts besteht für gut elf Prozent der Mädchen und 16 Prozent der Jungen im Alter zwischen null und 17 Jahren ein besonderer Versorgungsbedarf infolge chronischer Gesundheitsstörungen.
Keller machte deutlich, dass es einen Zusammenhang zwischen empfohlenen Impfungen und der Behandlung chronischer Krankheiten gibt. So würden etwa bei Morbus Crohn, einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung, Medikamente verabreicht, die das Immunsystem schwächen. Bei Kindern, die nicht schon vorher gegen Mumps oder Masern geimpft seien, müsse die Therapie deshalb verschoben werden, so Keller.
Der Verband der Kinder- und Jugendärzte setzt sich schon seit Jahren für eine verbindliche Impfpflicht gegen Krankheiten wie Masern, Röteln oder Diphterie ein. Dabei seien notorische Impfgegner noch das geringere Problem, meinte Verbandschef Fischbach. „Das Problem sind die Menschen, die schlicht vergessen, ihre Kinder impfen zu lassen und sie zu Auffrischimpfungen zu bringen“. Nach einem kürzlich im Parlament verabschiedeten Gesetz sollen Kitas künftig den Gesundheitsämtern melden, wenn Eltern die Impfberatung verweigern. Fischbach sieht darin einen Schritt in die richtige Richtung: Impfen sei ein „soziales Gebot, nicht nur für den individuellen Schutz Sorge zu tragen“.