Kinder bekommen zu oft und zu schnell Antibiotika

Krefeld (dpa/tmn) - Wenn Kinder krank sind, leiden Eltern mit. Ein Antibiotikum verspricht schnelle Heilung. Doch Ärzte warnen: Die hochwirksame Medizin wird viel zu häufig und oft sogar völlig unnötig verordnet.

Ob Bronchitis, Mittelohr- oder Blasenentzündung: Nach einer Studie des „Deutsches Medizinischen Wochenblatts“ bekommt jedes zweite Kind unter zehn Jahren beim Besuch in der Kinderarztpraxis ein Antibiotikum verschrieben. Auch eine Stichprobe unter 47 000 Versicherten der Krankenkasse AOK ergab, dass in der Altersgruppe der Zwei- bis Vierjährigen mehr als jedes zweite Kind mindestens einmal pro Jahr ein Antibiotikum erhält.

Das ist nicht nur nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine gefährliche Tendenz, die sich dem Kampf gegen drohende Antibiotika-Resistenzen verschrieben hat. „Antibiotika werden oft und schnell verschrieben“, sagt Prof. Tim Niehues, Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin am Helios-Klinikum Krefeld. „In vielen Fällen sind diese Medikamente zunächst gar nicht angezeigt, da die Erkrankungen durch Viren ausgelöst werden und Antibiotika gegen Viren wirkungslos sind.“

„Antibiotisch“ heißt übersetzt „gegen das Leben“. Das klingt beängstigend, beschreibt aber die grundsätzliche Wirkung. „Antibiotika vernichten Bakterien im Körper“, erklärt Frank Kipp, Mikrobiologe am Institut für Hygiene des Universitätsklinikums Münster. Leider erwischt es dabei nicht nur die bösen Bakterien, die krank machen, sondern auch viele gute und wichtige Bakterien. „Ein Antibiotikum ist immer ein großer Eingriff in das körpereigene bakterielle Gleichgewicht.“

Im Normalfall müssen die Medikamente sieben bis zehn Tage genommen werden. Häufig kommt es dabei zu Nebenwirkungen wie Durchfall, Erbrechen, Übelkeit und Appetitlosigkeit. „Auch allergische Reaktionen wie ein Hautausschlag können auftreten“, sagt Niehues. Neuere Untersuchungen verdächtigen Wirkstoffe wie Amoxicillin sogar, Zähne und Knochen bei Kindern nachhaltig zu schädigen. Für Kipp keine Überraschung: „Antibiotika sind hochwirksame, aber auch sehr starke Medikamente, die man nicht verharmlosen darf.“

„Das Maß ist entscheidend“, sagt Niehues. Er betont, wie wertvoll Antibiotika für die Gesundheit sein können: „Diese Medikamente retten täglich Leben und können Kinder und Erwachsene bei Infektionen vor schwerwiegenden Folgeerkrankungen wie Nierenentzündungen oder Herzklappenentzündungen schützen.“ Kein Wunder, dass Antibiotika heute von vielen Menschen als Allheilmittel betrachtet werden. Nach einer Untersuchung der PMV Forschungsgruppe der Uniklinik Köln erwarten viele Eltern sogar, dass der Arzt für ihr krankes Kind Antibiotika verordnet.

Bei vielen Erkrankungen ist aber tatsächlich kein Antibiotikum erforderlich: „Eine Grippe dauert sieben Tage, mit Medikamenten eine Woche“, sagt Kipp und verweist darauf, dass nicht immer Bakterien die Ursache für eine Erkrankung sind. „Erfahrungsgemäß sind sogar rund 80 Prozent aller Atemwegserkrankungen auf Viren zurückzuführen.“

Auch bei Durchfallerkrankungen oder Magen-Darm-Infekten sind Antibiotika in der Regel wirkungslos. „Sechs bis acht Infektionen beim Kind pro Jahr sind absolut normal“, sagt Niehues. „Die meisten gehen absolut komplikationslos vorüber.“ Ob und wenn ja welches Antibiotikum einem Kind verschrieben werden muss, kann nur nach sorgfältiger Untersuchung durch den behandelnden Arzt festgestellt werden.