Machbar oder Utopie? WHO will eine Welt ohne Tuberkulose

Berlin (dpa) - Sie ist ansteckend und langwierig: Tuberkulose, kurz TB, sorgte etwa in Berlin seit Jahresbeginn immer wieder für Gesprächsstoff. So unterrichtete ein Lehrer zahlreiche Schüler, bevor er im Februar mit TB ins Krankenhaus kam.

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Auch Verdachtsfälle in einer Flüchtlingsunterkunft hatte es gegeben. Neue Daten zeigen, dass Deutschland beim Kampf gegen die Krankheit zuletzt nicht weitergekommen ist.

Im Vorfeld des Welttuberkulosetags an diesem Dienstag meldet das Robert Koch-Institut (RKI) 4318 im Jahr 2013 erkrankte Menschen in Deutschland - das sind rund 100 Fälle mehr als 2012 und fast ebenso viele wie 2011. Der Welttuberkulosetag ist der Jahrestag der erstmaligen Beschreibung des Bakteriums Mycobacterium tuberculosis durch den späteren Nobelpreisträger Robert Koch.

Damit erkrankten in Deutschland in den vergangenen Jahren jeweils etwas mehr als fünf von 100 000 Einwohnern an TB - wenig im Vergleich zu anderen Ländern. Doch die Rate sinkt seit 2009 kaum noch und ging zuletzt wieder leicht nach oben. Um Ziele der Weltgesundheitsorganisation WHO zu erreichen, braucht es neue Anstrengungen. Denn die WHO verfolgt von diesem Jahr an die Strategie „End TB“. Die Vision ist eine Welt ohne Tuberkulose.

Ein Rahmenplan für Länder mit niedriger TB-Rate sieht für 2050 die Ausrottung vor. Weltweit sollen Todesfälle reduziert und die Behandlungskosten gesenkt werden. Die WHO hofft etwa auf einen neuen Impfstoff, der ab 2025 zur Verfügung stehen könnte. Der 1930 in Deutschland eingeführte Impfstoff BCG wird hierzulande seit langem nicht mehr empfohlen: Er gilt als wenig wirksam.

Eine zentrale Rolle zur Eindämmung von TB spielt der öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD). Doch der ist nicht nur in Berlin unterbesetzt: Das dortige Tuberkulose-Zentrum etwa, in dem routinemäßig alle Asylbewerber vor ihrem Einzug in eine Gemeinschaftsunterkunft auf die Erkrankung getestet werden, arbeitet seit Monaten am Limit. Flüchtlinge müssen lange auf die Untersuchung warten, die Einschulung von Kindern verzögert sich. Oft stammen sie aus Ländern mit ungenügender Gesundheitsversorgung. Mehr als die Hälfte der 2013 beim RKI gemeldeten TB-Patienten war im Ausland geboren.

Wer erkrankt sei, müsse frühzeitig diagnostiziert werden, um weitere Ansteckungen zu verhindern, sagte der Mediziner Karl Schenkel vom Deutschen Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK). Denn gerade in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion sind multiresistente Formen der Tuberkulose verbreitet: Diese entstehen insbesondere durch abgebrochene oder falsche Therapien.

Bereits die normale TB-Behandlung ist sehr aufwendig: Patienten müssen ein halbes Jahr lang vier Arten Antibiotika einnehmen. Je länger die Behandlung dauert und „je schwererer die Geschosse“, desto eher nehmen Patienten ihre Medikamente nicht regelmäßig, erläutert der Infektionsbiologe Stefan Kaufmann, Direktor der Abteilung Immunologie am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin. „Dadurch entstehen weitere Resistenzen.“

Für den korrekten Einsatz zweier Antibiotika, die 2014 auf den Markt kamen, werden Mediziner aus Lettland, Litauen, Rumänien, Bulgarien und anderen besonders betroffenen Ländern in Deutschland geschult. Die erste Zulassung neuer TB-Medikamente seit Jahren wertet Kaufmann durchaus als Erfolg. Grund aufzuatmen sieht er aber nicht: Die Mittel seien vor allem für Patienten ein „Strohhalm“, die an der multiresistenten TB-Form erkrankt sind - weltweit rund 480 000 Menschen jährlich, in Deutschland etwa 100 im Jahr 2013. Die Heilungschancen lägen bei 50 Prozent - bei einer zweijährigen Behandlungszeit.

Kaufmann befürchtet eine Art Nachhaltigkeitsproblem: „Alle Wirkstoffe, die wir heute verwenden, werden unseren Kindern fehlen. Jedes neue Mittel ist zwar gut, aber voraussichtlich nur temporär.“ Er forscht auch an neuen Impfstoffen - ein gutes Dutzend wird seiner Einschätzung nach aktuell in klinischen Studien untersucht. Nur damit lasse sich die Krankheit in den am stärksten betroffenen Regionen langfristig ausrotten.

Für Regionen mit sehr hohen Infektionsraten gibt es aber womöglich bedeutendere Optionen, an denen ebenfalls gearbeitet wird: Methoden, die zeigen, bei wem die Krankheit tatsächlich ausbricht. Patienten könnten dann vorbeugend behandelt werden. Denn in bis zu 95 Prozent der Fälle gelingt es dem Immunsystem, den Erreger beim ersten Kontakt zu kontrollieren. Es kommt zu einer latenten tuberkulösen Infektion ohne Symptome.

Hausärzten hierzulande begegnet das TB-Krankheitsbild nur äußerst selten, sagte Karl Schenkel vom DZK. Auch das spreche dafür, die Rolle des ÖGD zu stärken. Neben Flüchtlingen sind es nach Angaben Schenkels auch EU-Bürger ohne Versicherungsschutz, die in Hinblick auf TB besser versorgt werden müssten. Denn, so sieht es das RKI in einem neuen Bericht, durch Migration und Mobilität sind Regionen mit niedriger und hoher TB-Rate näher zusammengerückt.