Neue Therapien bei Schlaganfall
Durch Training vorm Spiegel können die Patienten ihre verlorene Beweglichkeit wieder bekommen.
Düsseldorf. Am Anfang war nichts. Roswitha Ludwig hatte ihren linken Arm einfach vergessen, seitdem ein Schlaganfall im Oktober 2006 Teile ihrer rechten Gehirnhälfte zerstörte. "Ich konnte weder den Arm noch die Finger bewegen", erzählt die 56-Jährige, "also habe ich sie nicht mehr genutzt." Nun sitzt sie vor einem Tisch und löffelt Linsen - mit dem gesunden Arm, von einer Schale in eine andere.
Konzentriert blickt sie dabei in einen Spiegel, der senkrecht vor ihrem Oberkörper steht; den gelähmten Arm sieht sie so nicht mehr. Und doch: "Im Spiegel scheint es, als ob ich meinen kranken Arm bewegen könnte", sagt Roswitha Ludwig. "Das ist ganz merkwürdig." Diese optische Täuschung ist der zentrale Bestandteil einer Therapie, die im Rahmen einer Studie an der Neurologischen Universitätsklinik Freiburg in Kürze getestet werden soll.
Die Idee: Indem man dem Patienten vorgaukelt, das gelähmte Körperteil funktioniere, soll sich das Gehirn so verändern, dass die Lähmung zurückgeht. Erste Versuche mit gesunden Rechtshändern haben gezeigt: Die Fingerfertigkeit der nicht trainierten linken Hand verbesserte sich aufgrund der Illusion tatsächlich. Doch was steckt dahinter? "Unser Ziel ist herauszufinden, wie das Gehirn auf Spiegeltherapie reagiert", erklärt der für die Studie verantwortliche Arzt Farsin Hamzei.
Lange Zeit gingen Forscher davon aus, dass einmal zerstörte Nervenzellen nicht wieder repariert oder ersetzt werden können. Teilweise stimmt das: Menschen mit durchtrenntem Rückenmark bleiben nach dem heutigen Stand der Medizin vermutlich ihr Leben lang behindert. Und nach einem Schlaganfall bleibt "ein Loch im Gehirn", sagt Hamzei.
Inzwischen jedoch weiß man, dass Gehirn und Nerven erstaunliche Wege finden, um verloren gegangene Funktionen zumindest teilweise wieder auszugleichen. Vorausgesetzt, der Mensch wird gefordert.
Bei Schlaganfallpatienten hat sich ein Training als besonders wirksam erwiesen, das der amerikanische Psychologe Edward Taub entwickelt hat: die "forced use therapy". Schlaganfallpatienten sind bei dieser Therapie dazu gezwungen, stundenlang und Tag für Tag ihre behinderte Körperhälfte einzusetzen und bestimmte Bewegungen immer wieder zu üben; die gesunde andere Hälfte wird zum Bespiel durch einen Fausthandschuh "stillgelegt".
Mit dem aufwändigen Training lassen sich selbst dann noch deutliche Verbesserungen erzielen, wenn der Schlaganfall schon 10 oder 20 Jahre zurückliegt - ein Zeitraum, nach dem Patienten im klinischen Alltag längst als austherapiert gelten. Damit die Taub’sche Therapie in Frage kommt, muss der Patient die gelähmte Extremität allerdings noch ein wenig bewegen können. Patienten wie Roswitha Ludwig mit einem völlig gelähmten Arm sind dafür nicht geeignet - wohl aber für die Spiegeltherapie, denn hier ist Aktivierung reine Kopfsache.
Normalerweise werden alle bewussten Bewegungen des Körpers kreuzweise von den zwei Gehirnhälften (Hemisphären) gesteuert. Fallen in einer Hälfte bestimmte Areale aus, zeigt sich das durch Lähmungserscheinungen auf der Gegenseite. So kann Roswitha Ludwig mit ihrer geschädigten rechten Hirnhälfte den linken Arm nicht mehr rühren.
Täuscht sie ihren Augen nun aber mit dem rechten Arm Bewegungen des linken Armes vor, werden nicht nur in einer, sondern in beiden Hemisphären des Gehirns Nervenverbände aktiviert: "Das Gehirn koppelt die gelähmte Hand an die gesunde Hirnhälfte", erklärt Cornelius Weiller, Direktor der Neurologischen Universitätsklinik Freiburg. "Und gleichzeitig werden noch vorhandene Teile der kranken Hirnhälfte stimuliert und ausgebaut."
Zahlreiche Kernspintomographie-Aufnahmen haben bereits belegt, dass sich durch motorisches Training Aktivierungsmuster des Gehirns wandeln. "Man sieht Veränderungen in den für Bewegung zuständigen Regionen und hat festgestellt, dass die Aktivität zunimmt", sagt Farsin Hamzei. "Aber ob sich zum Beispiel Nervenzellen tatsächlich neu bilden können, ist immer noch nicht endgültig klar."
Diese Therapien sind für Schlaganfallpatienten aber nur ein Anfang, eine Ergänzung zu der ohnehin notwendigen Rehabilitation. Roswitha Ludwig war bislang nur "Testpatientin" einer vierwöchigen Probestudie der Freiburger Ärzte. Doch schon währenddessen haben sie und die begleitenden Therapeuten festgestellt, dass sich ihre linke verkrampfte Hand bei den Übungen entspannt.