Nicht faul, sondern krank: Bei Aufschieberitis ist Hilfe nötig
Münster (dpa) - Jeder schiebt mal etwas auf. Doch manche Leute tun es krankhaft oft. Früher sprach man von Bummelstudenten - heute von Prokrastination. Psychologen geben Betroffenen Ratschläge. Und manchmal auch Murmeln.
Verträumt sitzt Studentin Lara (Name geändert) in Münster an ihrem Schreibtisch und schaut aus dem Fenster. Sie will an diesem Nachmittag endlich mit ihrer Hausarbeit anfangen, die eigentlich schon im letzten Semester fällig war. Kurz meldet sie sich noch bei Facebook an, geht einkaufen und telefoniert mit ihrem Freund. Irgendwann ist der Tag um und das Textdokument am Computer immer noch leer. Morgen ist ja auch noch ein Tag. Früher wurde verniedlichend von Bummelstudenten gesprochen. Heute schaut die Fachwelt hin: Psychologen sprechen von Prokrastination, krankhaftem Aufschiebeverhalten.
Es ist ein Problem, das die Betroffenen Karriere und Lebensglück kosten kann. „Betroffene fühlen sich dem Aufschieben hilflos ausgeliefert und bleiben hinter ihrem Leistungsniveau zurück“, erläutert Psychologin Eva Frings. Sie arbeitet in der Prokrastinationsambulanz der Universität Münster und hat mit ihren Kollegen in sechs Jahren rund 500 Studenten betreut. Das ambulante Angebot gilt in dieser Form als bundesweit einzigartig.
Die Forscher hören von Studenten Aussagen wie: „Ich bin absolut bereit, loszuarbeiten und mein Körper bewegt sich nicht. Der Zeigefinger klickt einfach auf die linke Maustaste und schiebt mich zur nächsten WWW-Seite.“ Eine typische Risikogruppe gibt es nicht. Allerdings sind die Betroffenen häufiger in Studiengängen wie Geschichte oder Philosophie eingeschrieben, bei denen Studenten ihren Uni-Alltag sehr stark selbst strukturieren müssen.
Die Einführung der strafferen Bachelor- und Masterstudiengänge hätten die Zahlen aber nicht gesenkt, sagt Frings. „Oft spielen auch Versagensängste und hohe Ansprüche an die eigene Person eine große Rolle.“ Viele Studenten erzählten, sie hätten in der Schule nie richtig gelernt, zu lernen und könnten sich nur schlecht selbst organisieren. Dieses Problem treibe neben Studenten häufig auch Selbstständige und Freiberufler in die Prokrastination.
Aus verhaltenspsychologischer Sicht ist das Aufschieben nachvollziehbar: Kurzfristig verschwinden unangenehme Gefühle wie Stress und Widerwille, die Zeit kann für schönere Dinge genutzt werden. „Langfristig jedoch gibt es viele nachteilige Folgen wie die längere Studiendauer, schlechtere Noten oder den Abbruch des Studiums“, sagt die Psychologin Lena Beck aus Münster. Betroffene Studenten seien häufiger unzufrieden, schliefen schlecht und hätten ein erhöhtes Risiko, depressiv zu werden.
Spätestens an diesem Punkt suchten die Studenten nach einer Behandlung. In Gruppen- und Einzeltherapie sollen sie lernen, ihre Uni-Arbeit besser zu strukturieren und sich realistische Teilziele zu setzen. „Als Daumenregel kann helfen, von dem, was man sich intuitiv vornehmen würde, 50 Prozent abzuziehen“, sagt Frings. Wichtig seien auch Pausen und Belohnungen: „Man kann pro erfolgreicher Einheit eine Murmel in ein Glas legen. Der Anblick motiviert.“ Bei 20 Murmeln sei dann ein Kinobesuch drin. Ohne Gewissensbisse.