„Pflege XXL“: Wenn der Rollstuhl zu schmal ist

Leipzig (dpa) - Der Rollstuhl zu klein, die Tür zu eng, der OP-Tisch zu schwach: Die Gesundheitsbranche bekommt es immer häufiger mit übergewichtigen Patienten zu tun. In Leipzig beschäftigt sich nun sogar eine Messe mit dem Thema „Pflege XXL“.

180 Kilogramm auf 1,60 Meter Körpergröße: Diese Maße stellten Rettungskräfte in Darmstadt vor ein schweres Problem. Ein Notfallpatient musste aus seiner Wohnung geholt werden. „Aber wie kriegen Sie so einen Patienten ins Krankenhaus?“, fragt Günther Lohre vom Vorstand der Johanniter in Hessen. „Da kam die Feuerwehr und hat ihn mit einem Schlauchboot die Treppen runtergerutscht und auf einen Lkw verladen.“ Lohre sagt: „Das ist menschenunwürdig.“

Seit einiger Zeit wird die Gesundheitsbranche häufiger mit stark übergewichtigen Patienten konfrontiert - und sie stellt sich darauf ein. Die Leipziger Messe Pflege und Homecare (27. bis 29. September) widmet dem Problem sogar einen eigenen Schwerpunkt: „Pflege XXL“.

Die sächsische Firma Ortho Vital ist eines der Unternehmen, das sich an der „Pflege XXL“ beteiligt. „Wir haben eine zunehmende Zahl an Adipositas-Patienten“, sagt Sprecher Ulf Hensling. „Wenn diese Leute in Kliniken und Pflegeeinrichtungen kommen, stößt man an Grenzen.“ Rollstühle seien zu klein, Türen zu schmal, Tragen für diese Lasten nicht ausgelegt. „Das müssen ja nicht vier, fünf Fälle pro Woche sein. Da reicht schon einer, den sie nicht vernünftig behandeln können.“

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes war 2009 gut die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland übergewichtig - 60 Prozent der Männer und 43 Prozent der Frauen. Zehn Jahre zuvor waren es noch 56 Prozent beziehungsweise 40 Prozent. Als fettleibig - mit einem Body-Mass-Index über 30 - galten zuletzt rund 15 Prozent der Erwachsenen.

Die Johanniter und auch andere Rettungsdienste haben inzwischen spezielle Krankentransporter im Einsatz, „Schwerlastfahrzeuge“, wie Günther Lohre sagt. „Die sind ausgestattet für Patienten ab 180 Kilogramm, mit Spezialtragen, Vakuummatratzen und Haltesystemen. Sie müssen die Patienten, wenn Sie sie transportieren, auch ordentlich lagern.“ Die Ausstattung eines solchen Schwerlast-Krankentransporters sei etwa 20 Prozent teurer als die der herkömmlichen Rettungswagen.

Höhere Kosten schlagen an verschiedenen Stellen zu Buche - und sorgen auch für Konfliktpotenzial. Laut Sanitätsfachmann Hensling kostet zum Beispiel ein Standard-Rollator um die 100 Euro. Auf Patienten, die mehr als 120 Kilogramm wiegen, könne schnell der fünf- bis sechsfache Preis zukommen - „einfach aufgrund der Stückzahlen, das sind Sonderanfertigungen“.

Die Frage, ob Krankenkassen die höheren Kosten übernehmen, kann schon mal Gerichte beschäftigen. So weigerte sich eine Krankenkasse in Sachsen-Anhalt, die Kosten für Feuerwehr-Transporte eines schwergewichtigen Patienten ins Krankenhaus zu übernehmen. Das Landessozialgericht Halle entschied jedoch, die Kasse müsse zahlen.

So nötig es aus Sicht von Sanitätern und Pflegern ist, über das Thema zu sprechen und Kliniken und Pflegeeinrichtungen entsprechend auszustatten, so heikel ist es auch. „Das sind Menschen mit Feingefühl. Die wissen, dass sie zu dick sind. Das kratzt am Ego“, sagt Lohre. Ein professioneller Umgang mit dem Thema sei wichtig. Das findet auch Sanitätsausstatter Hensling. Schuldzuweisungen seien nicht angebracht, sagt er, und fügt hinzu: „Raucher haben eine bessere Akzeptanz als Adipöse.“