Pflege zu Haus: 24-Stunden-Job an der Grenze der Belastbarkeit
Wiesbaden (dpa) - Der Fachkräftemangel in der Pflege ist in aller Munde. Dabei sind es häufig gar nicht Profis, die Alte, Kranke und Behinderte versorgen. Familien tragen noch immer die Hauptlast - aber wie lange noch?
Wiesbaden (dpa) - Der Fachkräftemangel in der Pflege ist in aller Munde. Dabei sind es häufig gar nicht Profis, die Alte, Kranke und Behinderte versorgen. Familien tragen noch immer die Hauptlast - aber wie lange noch?
Wer unter der Last der Pflege schier zusammenbricht, ist für jeden Strohhalm dankbar. Manche Alternativen klingen herzlos: Die verwirrte Mutter in einem bezahlbaren Altenheim in Osteuropa unterbringen oder illegale Pflegerinnen gegen Kost und Logis beim Opa einquartieren? Sympathischere Alternativen scheitern oft an der Realität: Die betreute Senioren-Wohngemeinschaft oder die Mehrgenerationen-Wohnanlage sind glückliche Ausnahmen.
Und so werden weiterhin 70 Prozent aller Pflegebedürftigen zu Hause versorgt. Ende 2011 waren das laut Statistischem Bundesamt 1,76 Millionen von insgesamt zweieinhalb Millionen Alten, Kranken und Behinderten, die als pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes gelten. 1,18 Millionen Mal stemmen die Angehörigen die Pflege komplett allein. Nur 576 000 Pflegebedürftige bekamen in ihren eigenen vier Wänden Hilfe von ambulanten Diensten.
Pflege zu Hause bedeutet eine enorme Belastung, weiß Thomas Busse, Professor für Pflege- und Gesundheitsmanagement an der Fachhochschule Frankfurt. „Das ist ein 24-Stunden-Job, der viele an die Grenze der Belastbarkeit führt.“ Nicht nur die zu Pflegenden werden älter - auch die betreuenden Angehörigen altern mit. „Ich kenne viele Pflegende, die massive physische und psychische Probleme haben.“
Häufigste Alternative, wenn es nicht mehr geht, ist das Heim. 30 Prozent der Pflegebedürftigen werden stationär betreut: Ende Dezember 2011 waren das 743 000 Menschen, 3,6 Prozent mehr als 2009. 3,8 Prozent mehr Menschen werden durch ambulante Dienste in Privatwohnungen betreut. Wie stark die Zahl derjenigen gewachsen ist, die ausschließlich durch Angehörige versorgt werden, ist unklar.
Ob im Heim oder zu Haus - Hilfe vom Profi ist teuer. Ein Zehntel der Betroffenen muss von Beginn der Pflegebedürftigkeit bis zum Tod mehr als 99 000 Euro drauflegen. Durchschnittlich sind es mit 37 000 Euro spürbar weniger, in den Spitzen mit mehr als 300 000 Euro weit mehr, wie aus dem Pflegereport 2012 der Barmer GEK hervorgeht; die Pflegeversicherung übernimmt weniger als die Hälfte der Kosten.
Das Problem wird sich verschärfen. Die Bertelsmann-Stiftung geht davon aus, dass die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2030 um fast die Hälfte steigt. „In vielen Landkreisen wird es zu erheblichen Versorgungsproblemen kommen, wenn heute nichts geschieht“, schreibt Prof. Heinz Rothgang vom Bremer Zentrum für Sozialpolitik, einer der Autoren des Reports.
Bis 2060 werden wir mehr als eine Million zusätzliche Pflegeheimplätze und über 700 000 zusätzliche Pflegekräfte brauchen, ergab eine Untersuchung des Kieler Fritz Beske Instituts für Gesundheits-System-Forschung. „Das, was auf uns zukommt, ist weder finanzierbar noch mit Fachkräften abdeckbar“, hatte Beske bei der Vorstellung der Studie im Dezember gesagt.
„Familien sind die tragende Säule des Systems und sparen dem Sozialstaat viel Geld“, betont Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbands VdK. „Doch pflegende Angehörige bekommen immer noch nicht genug Anerkennung, finanzielle Hilfe und Unterstützung.“ Die Pflegereform des vergangenen Jahres sei „deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben“, die Familien-Pflegezeit „nicht praxistauglich“.
Pflegenden Angehörigen wäre oft schon mit ganz kleinen Schritten geholfen, glaubt Prof. Busse, zum Beispiel, wenn ambulante und stationäre Pflege besser vernetzt wäre. „Pflegende könnten den Angehörigen eine Woche in ein Heim geben, um sich zu erholen, oder ihn nachts in eine stationäre Einrichtung bringen, damit sie selbst mal durchschlafen können.“