Psyche bei Krebs stärken: Psycho-Onkologen helfen
München/Leipzig (dpa/tmn) - Wenn Menschen erfahren, dass sie an Krebs erkrankt sind, sind die meisten geschockt. Sie sind verzweifelt und ängstlich. Hilfe bieten Psycho-Onkologen - im Idealfall geben sie den Patienten neuen Lebensmut und helfen so bei der Genesung.
Malignes Karzinom, Tumor-Recidis, Metaplasie. Bei solchen Worten verstehen viele Nichtmediziner nur Bahnhof. „Trotzdem wirst Du, wenn Du als Krebskranker das Gespräch mit den Ärzten suchst, ständig mit solchen Ausdrücken konfrontiert“, sagt Gabriel Melling*. Selbst auf Nachfrage bleibe es oft bei einer Erklärung der medizinisch-technischen Art, erzählt der Münchner, bei dem 2005 Mundschleimhautkrebs diagnostiziert wurde. „Was der Krebs mit Deinem Kopf macht, geht völlig unter.“
Dabei ist die psychische und emotionale Belastung eines Krebskranken enorm. „Sie fühlen sich hilflos, haben Angst vor Schmerzen oder dem Tod, aber auch davor, ihre Rolle in Familie und Beruf nicht mehr ausfüllen zu können“, erklärt Annkatrin Rogge, Diplompsychologin an der Rehaklinik Schloss Schönhagen bei Kiel, in der vorwiegend Krebspatienten behandelt werden. In Rogge finden sie eine kompetente Ansprechpartnerin: Sie ist Psycho-Onkologin.
„Jeder ist anders. Deshalb ist es erst einmal oberste Priorität, herauszufinden, was für den Einzelnen im Mittelpunkt steht. Nur so können wir ihm helfen“, erklärt Rogge. „Manche sind regelrecht paralysiert vor Angst davor, dass der Krebs fortschreiten oder wiederkehren könnte, andere sind komplett kontrolliert und haben eine genaue Theorie dazu, warum sie krank sind“, berichtet die zweite Vorsitzende der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Psychosoziale Onkologie (dapo) aus jahrelanger Praxis.
Ziel sei es, dass der Betroffene mit sich ins Reine kommt und der großen Belastung durch den Krebs besser standhalten kann. Teil der Behandlung sind neben psychologischen Einzelsitzungen und Gesprächsrunden mit anderen Betroffenen oft Entspannungsübungen sowie Musik-, Bewegungs- und Kunsttherapie. Sie können Stress abbauen, dem Patienten ein neues Selbstwertgefühl vermitteln und Ventil für Ängste und Sorgen sein.
Die Psycho-Onkologie leistet also einen wichtigen Beitrag, um die Lebenssituation Krebskranker zu verbessern, doch kann sie auch den Krankheitsverlauf beeinflussen? „Der Zusammenhang zwischen dem psychischen Zustand eines Patienten und seiner Heilung ist genauso wenig beweisbar wie jener bestimmter charakterlicher Dispositionen mit der Entstehung von Krebs“, erklärt Prof. Matthias Theobald vom Universitätsklinikum Mainz. Unbestreitbar sei jedoch, dass die Stabilität, die Betroffene durch die psychologische Beratung gewinnen, dazu führt, dass sich ihre Bereitschaft erhöht, aktiv an therapeutischen Maßnahmen teilzunehmen. Das wirke sich positiv auf ihre Heilungschancen aus.
Prof. Dirk Jäger vom Nationalen Tumor Centrum (NCT) Heidelberg geht sogar noch weiter und hält einen Antitumoreffekt der psychosozialen Onkologie für denkbar: „Es gibt Daten, die zeigen, dass Menschen, die unter Druck stehen, anfälliger für Infektionen sind, und statistisch erkranken sie auch häufiger an Tumoren“, sagt er.
Gabriel Melling, der seit 2007 krebsfrei ist, kann dies nur unterschreiben. Ohne ein Gespräch mit dem Psycho-Onkologen wäre er die quälende Frage „Warum gerade ich?“ nie losgeworden. „Dann wäre irgendwann Sabbat gewesen. Ich hätte mich aufgegeben - und wer weiß wo ich dann heute wäre.“
Service:
Kostenfreie Info-Hotline des Krebsinformationsdienstes des Deutsches Krebsforschungszentrum: 0800 4203040, täglich zwischen 8.00 und 20.00 Uhr.
* (Name geändert)