Mit Holzschiffchen dem Müll in der Nordsee auf der Spur
Bremen/Wilhelmshaven (dpa) - Die See ist grau und unruhig. Das Forschungsschiff „Otzum“ neigt sich bedenklich auf den Wellen des Jadebusens von links nach rechts. Immer wieder müssen die Mitreisenden Halt suchen, um nicht umzufallen.
Nur der Wissenschaftlerin Rosanna Schöneich-Argent macht die Schaukelei anscheinend nichts aus. Wie festgenagelt steht sie unter Deck und erklärt das neueste Forschungsprojekt des Instituts für Chemie und Biologie des Meeres in Wilhelmshaven (ICBM). Ihr Anliegen ist ernst: Es geht um die Zukunft des Meeres.
Jedes Jahr verschmutzen Millionen Tonnen Plastikmüll die Ozeane. Auch die Nordsee ist davon betroffen. Das Problem ist hier bisher erstaunlich wenig erforscht. Die Forscher des zur Uni Oldenburg gehörenden ICBM wollen das nun ändern. „Aufklärung ist wichtig“, sagt Schöneich-Argent. Um das Thema rankten sich einige Mythen.
„Jährlich werden auf der ganzen Welt rund 300 Millionen Tonnen Plastikmüll produziert“, sagt Jörg-Olaf Wolff, Leiter der Arbeitsgruppe für physikalische Ozeanologie am ICBM und damit Chef der jungen Doktorandin. „Schätzungsweise ein Zehntel davon gelangt jedes Jahr ins Meer.“
Wolff und Schöneich-Argent sind Spezialisten für sogenanntes Makroplastik, also für Plastikmüll ab einer Größe von fünf Millimetern. Mit dem Projekt untersucht ihr Team, wie sich der Abfall in der südlichen Nordsee verbreitet. Das Land Niedersachsen unterstützt das Vorhaben mit 1,4 Millionen Euro. Deshalb fährt auf der „Otzum“ auch die niedersächsische Wissenschaftsministerin Gabriele Heinen-Kljajić (Grüne) mit. Sie ist im Rahmen ihrer Sommerreise nach Wilhelmshaven gekommen.
Über die Verbreitung von Müll in den großen Ozeanen weiß die Wissenschaft schon einiges: Ein weltumfassendes System an Meeresströmungen reißt ihn mit und lässt ihn nicht mehr los. So entstehen die sogenannten Müllstrudel - Stellen im Meer, an denen der Abfall zusammengetrieben wird. Ein Großteil davon besteht aus Plastik.
Plastikmüll bis zum Horizont - das ist zum Beispiel einer der Mythen, die Schöneich-Argent meint: „Die Müllstrudel sehen aus wie ein großes Ei. Ganz außen verteilen sich die Plastikteile auf viele Hundert Quadratkilometer. Da sieht man gar nichts. Erst Richtung Zentrum des Strudels wird es dichter.“
Das Projekt des ICBM soll nun Aufschluss darüber geben, ob und wo sich in der Nordsee ebenfalls solche Akkumulationsgebiete bilden. Dazu will das Team sogenannte Driftkörper aussetzen. Bis zu 100 000 kleine Holzschiffchen sollen innerhalb der kommenden vier Jahre markiert und ins Wasser gelassen werden. Wer so ein Holzstück dann am Strand findet, ist aufgefordert, sich beim Institut zu melden und den Fundort anzugeben.
Mit den so gewonnenen Daten lässt sich nach und nach ermitteln, welchen Weg treibende Gegenstände im Meer zurücklegen. „Wir lassen die Drifter vor allem an Stellen ins Wasser, an denen besonders viel Müll produziert wird“, erklärt Schöneich-Argent. Damit meint sie Industriezentren an Flüssen oder die Tourismushochburgen auf den Nordseeinseln. Das Projekt beginnt erst im Oktober. Heute sieht die Wissenschaftsministerin nur einen Prototypen der Holzdrifter. Zeit also für andere Fragen: Wie kriegt man das Zeug eigentlich aus dem Meer?
Darauf gibt es spektakuläre Antworten, etwa aus Holland, wo Wissenschaftler ein Siebsystem namens „The Ocean Clean Up“ entwickelt haben: gigantische Schläuche von bis zu 100 Kilometern Länge, die an der Oberfläche des Pazifiks schwimmen. An ihnen hängt eine Art Netz: ein Sieb, durch das die Strömung fließt und an dem der Müll hängen bleibt. Das Crowdfunding-Projekt erlangte einst große Aufmerksamkeit. Doch ganz so einfach ist es eben nicht.
„Man muss aufpassen, dass nicht der Teufel durch den Beelzebub ausgetrieben wird“, sagt etwa der Biologe Gunnar Gerdts vom Alfred-Wegener-Institut auf Helgoland. Die Netze sieben nicht nur millimeterkleine Plastikpartikel aus dem Meer, sondern auch Krill und Plankton - die die Lebensgrundlage für sämtliche Organismen im Meer sind. „Alle Ansätze, die das Problem technisch angehen wollen, halte ich für zweifelhaft“, urteilt Gerdts. Der einzige Weg, das Problem wirklich anzugehen, sei Vermeidung und Aufklärung.
So sieht es auch die Ministerin, die sichtlich froh ist, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Zu möglichen Lösungen sagt sie: „Das wird etwas sein, was bei uns, bei den Verbrauchern auf dem Festland stattfinden muss.“ Doch das Umdenken geht nur langsam voran. „Das frustriert mich häufig sehr“, sagt Doktorandin Schöneich-Argent. „Doch jetzt weiß ich zuviel, um den Kopf in den Sand zu stecken.“