Faszinierender Glibber - Ozeaneum gelingt Quallenzucht

Stralsund (dpa) - Sie sind glibberig und rufen mitunter Ekel hervor. Das Ozeaneum in Stralsund zeigt die Quallen von ihrer faszinierenden Seite. Den Meeresexperten gelang nun die komplizierte Quallenzucht.

Wie futuristische Raumschiffe gleiten die Mini-Exemplare der Aurelia aurita schwere- und lautlos durch das Ringbecken in der Quallenzuchtanlage des Ozeaneums. Mit ruhigen Pumpbewegungen wallen die kleinen Ohrenquallen durch das Salzwasser, ihre winzigen Tentakel bewegen sich zeitenlupenartig mit der Strömung. „Quallen haben doch etwas Hypnotisches“, schwärmt Aquarienleiter Alexander von den Driesch in Stralsund. Nicht nur er könnte beim Blick auf die Urtiere der Meere Raum und Zeit vergessen.

Die Ohrenqualle ist unter anderem in der Ost- und Nordsee heimisch und gehört deshalb auch zu den Arten, die im Ozeaneum gezeigt werden. Bislang konnten Besucher nur in den Sommermonaten einen Blick auf die Quallen werfen, wenn sie auch in den Gewässern vor dem Ozeaneum gefangen werden konnten. Doch unter der Regie des Quallenexperten Alexander Dressel gelang nun die Zucht der Ohrenquallen. Nur wenigen Einrichtungen in Deutschland glückte bislang die Zucht, die viel Fingerspitzengefühl erfordert, unter anderem dem Zoo-Aquarium in Berlin. Seit März werden die ersten in Stralsund aufgezogenen Tiere in einem Schaubecken in der Nordseeabteilung des Ozeaneums gezeigt.

Quallen bevölkerten schon vor rund 600 Millionen Jahren die Weltmeere. Viele Menschen haben ein sehr ambivalentes Verhältnis zu ihnen. Ihr Anblick löst Faszination und Ekel oder - je nach Art - auch Angst vor schmerzhaften Verletzungen aus. Durch Überfischung haben bestimmte Arten - etwa die Nomuraqualle vor Japans Küste - zugenommen, wie Dressel erklärt. Den Quallen fehlen dort die Nahrungskonkurrenten. Mit der Präsentation von Quallen will das Ozeaneum Besucher sensibilisieren und ihnen ein differenzierteres Bild vermitteln.

In der für Besucher unzugänglichen Quallenzuchtanlage simuliert Dressel in einem Becken das Frühjahr und lässt die Wassertemperatur langsam ansteigen. Schon Temperaturunterschiede von fünf Grad reichen aus, damit die auf Steinen und Muscheln angesiedelten Polypen kleine Larven abschnüren, aus denen sich die Medusen (Quallenkörper) entwickeln. Die kleinen Babyquallen kommen in ein mit Salzwasser gefülltes Spezialbecken, das wie ein Ring geformt ist. Ecken und Kanten könnten die sensiblen Mini-Tiere im Wachstum beeinträchtigen und schädigen, erklärt Dressel. Die Strömung wird sanft über einen Luftstrom erzeugt. Würden Luftbläschen unter den Schirm einer Qualle gelangen, könnten die Tiere sterben.

Langsam lässt Dressel mit einer Pipette Salinenkrebse - nur einen Zehntelmillimeter große Wesen - in das Becken gleiten. Mit Hilfe von Pumpbewegungen fangen die gerade ein Zentimeter großen Tiere die Krebse. Nach wenigen Wochen setzen Dressel und seine Kollegen die Quallen in größere Becken um, wo sie zu einem Durchmesser von rund acht Zentimetern heranwachsen. Erst danach kommen sie in die für Besucher gedachten Schaubecken. Ihre Lebenserwartung dort beträgt rund neun Monate. Damit werden die Zuchttiere Dressel zufolge zum Teil älter als die Artgenossen in der Natur.

„Obwohl mit primitivem Bauplan ausgestattet, hat sich die Lebensstrategie der zu 99 Prozent aus Wasser bestehenden Tiere als äußerst erfolgreich erwiesen“, sagt Dressel, der sein Fachwissen über die Quallen im kalifornischen Monterey Bay Aquarium komplettiert hat. Die Glibbertiere findet er höchst faszinierend, weil gleich zwei Arten der Fortpflanzung ihr Überleben gesichert hätten. Neben der Abschnürung aus den Polypen, sind Quallen in der Lage, sich geschlechtlich über befruchtete Eier fortzupflanzen.

Inzwischen produziert Dressels Abteilung mehr Ohrenquallen als in den Schaubecken gezeigt werden können. Damit eröffnen sich neue Perspektiven für die Zucht einer weiteren Art. Die Experten um den Aquarienleiter von den Driesch haben damit begonnen, die Atlantische Kompassqualle zu züchten. Diese ernährt sich von den Ohrenquallen. Mit ihren meterlangen Tentakeln sieht die Kompassqualle bedeutend spektakulärer aus als die heimische Art. Kleine Babyexemplare, nicht größer als ein Fingernagel, schwimmen bereits in einem 400-Liter-Becken. „Jetzt muss es uns gelingen, die Tiere großzuziehen“, sagt von den Driesch.