Gipfel der Genüsse: Wintertour in Alta Badia

Bozen (dpa/tmn) - Noch vor wenigen Jahrzehnten war Alta Badia ein verlassenes Tal. Heute lockt es Wintersportler und Gourmets aus aller Welt an. Doch die Vergangenheit begegnet dem Besucher auf Schritt und Tritt.

Rund um die Dorfkirche gruppieren sich wie lose verstreute Bauklötze ein paar Häuser im gleißenden Schnee. Sie schmiegen sich an steile, noch unberührte Berghänge, aus denen später einmal die Stahlträger der Skilifte ragen werden. „So sah es früher hier einmal aus, vor über 70 Jahren“, erklärt die Verkäuferin eines Trachtenladens in Corvara. Die alte Schwarzweißansicht hängt in vielen Geschäften und Souvenirshops der Südtiroler Gemeinde. Fast scheint es, als könnten die Bewohner im malerischen Alta Badia immer noch nicht so recht fassen, welch unglaublicher Wandel sich in ihrem Dolomitental vollzogen hat.

Gleich hinter dem Luxushotel „La Perla“ liegt wie ein Relikt aus einer anderen Epoche ein typisches altes Bauernhaus. Seit dem Tod der letzten Besitzerin ist es unbewohnt. Nun haben es die Hoteleigentümer aufgekauft und nutzen das Ambiente für stimmungsvolle Heimatabende. Der Angestellte Stefan Mayr führt über knarrende Holzdielen durch die rustikalen Stuben, vorbei an kojenähnlichen Schlafnischen und klobigen Sitzbänken, die am gemauerten Ofen lehnen.

Auch in den Wintermonaten blieb den Bergbauern kaum Zeit zum Müßiggang. Den oft romantisierten Jahren, bevor die Dolomiten vom Tourismus entdeckt wurden, weint Roberta Rinna, die in Corvaras Nachbarort La Villa ein 4-Sterne-Hotel führt, keine Träne nach: „Es war eine schwere Zeit“, erinnert sie sich, „besonders für meine Mutter, die nach dem Tod des Vaters allein vier Kinder ernähren musste. Ich kann mich erinnern, dass wir an manchen Tagen nicht genug zu essen hatten.“ Mit dem westdeutschen Wirtschaftswunder kamen Fortschritt und Wohlstand Ende der 50er Jahre auch in die rückständigen Dolomitentäler.

„Komm ein bisschen mit nach Italien“, trällerte Caterina Valente damals, „komm ein bisschen mit ans blaue Meer.“ Auf dem Weg dorthin verschlug es viele Touristen ins Alta Badia. Eine abenteuerliche Reise, denn das versteckte Hochabteital, wie sein deutscher Name lautet, war von Norden fast 100 Jahre lang nur über die schmale Gadertalstraße zu erreichen.

Seiner abgeschiedenen Lage hat Alta Badia bis heute einige Besonderheiten zu verdanken, allen voran natürlich die ladinische Sprache. Die Verwandtschaft zum Italienischen ist unverkennbar, dennoch haben auch einige teutonische Begriffe Einzug ins Ladinische gehalten. Stüa („Stube“) ist so ein Wort. Im Maso Runch Hof in Pedraces steht es an der weiß gekalkten Wand neben dem Eingang zur urgemütlichen Stube geschrieben.

Heute bewirtet dort die Familie Nagler Touristen unter Tellerborden, alten Familienfotos und dem Kruzifix in der Ecke mit selbstgekochter ladinischer Hausmannskost - und die ist ebenso deftig wie reichhaltig: Zum Auftakt des Menüs gibt es eine nahrhafte Gerstensuppe, gefolgt von in brauner Butter gesottenen Schlutzkrapfen mit Spinat- und Quarkfüllung, Schweinshaxe mit Polenta und Sauerkraut, Knödel mit Gulasch und als Dessert Apfelstrudel.

Gutes Essen gehört zu Südtirol wie der Schnee zum Winter - nicht nur im Tal, sondern auch oben auf dem Berg. Wenn mancher Skifahrer nach einem kräftezehrenden Vormittag auf den Brettern Appetit auf Pommes und Currywurst verspürt, so werden solcherlei Gelüste in einigen Rifugi auf Unverständnis stoßen. Südtirol ist mehr der eleganten italienischen Küche zugeneigt. Südländer sind eben Gourmets. Daher erstaunt es nicht, dass jede noch so einfache Skihütte eine Speisekarte auf gehobenem Niveau aufweisen kann.

In Alta Badia hat die Kombination aus Sport und kulinarischen Spezialitäten Tradition. Bereits zum siebten Mal findet in der Wintersaison 2011/12 das „Skifahren mit Genuss“ statt: gehobene Gastronomie auf über 2000 Metern Höhe in zehn ausgewählten Schlemmerhütten. Internationale Spitzenköche aus Österreich, Slowenien, der Schweiz und Deutschland kreieren für jedes Restaurant ein spezielles Gericht.

Die Ütia Lèe unterhalb des Kreuzkofels ist eine dieser Gourmet-Stationen. Wer es schon zu Fuß mit Schneeschuhen oder Wanderstiefeln bis hierher geschafft hat, sollte noch einen Kilometer weiter in Richtung der gewaltigen Gebirgswand klettern. Am Fuß des mächtigen Felsmassivs liegt die kleine Wallfahrtskirche Heilig Kreuz, die im Jahr 1484 geweiht wurde. Man nimmt auf einer der wenigen Sitzbänke des Kirchleins Platz, lässt seine Blicke über die schlichten Deckenverzierungen und den schönen Altar schweifen. Die andächtige Stille wird bisweilen nur vom Gepolter klobiger Skistiefel gestört, in denen die Skifahrer durch das Kirchenschiff stapfen.

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