Musikfestival So ungezwungen geht es beim „Woodstock der Blasmusik“ zu

Ort im Innkreis · „Love, Peace & Blasmusik“ - so lautet das Motto des größten Festivals seiner Art. 100.000 Besucher feiern die Spielarten des Genres und eine selten gewordene Unverkrampftheit. Rückblick mit Ausblick.

So ungezwungen geht es beim „Woodstock der Blasmusik“ zu
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Es ist Ende Juni 2024, und der bisher heißeste Tag des Jahres neigt sich seinem Ende entgegen. Für die Menge ein willkommener Anlass, ein Bad im kühlen Antiesen zu nehmen. Doch im Flussbett ist kaum ein Platz zu finden.

Dicht gedrängt stehen leicht bekleidete Menschen bis zu den Knien im Wasser. Andere haben auf Campingstühlen Platz genommen, die sie ufernah im Gewässer platziert haben, das wenige Kilometer weiter nördlich in den Inn mündet. Dazu entlocken andere ihren mitgebrachten Musikinstrumenten gekonnt die Töne - ob Tuba, Trompete, Posaune, Becken oder Basstrommel.

Willkommen beim „Woodstock der Blasmusik“, einem ausgelassenen Festival, das dem gesamten Genre zu einer unerwarteten Renaissance verholfen hat. Erstmalig ausgetragen wurde es 2011 nur wenige Kilometer südlich der deutschen Grenze.

Wie Festivalgründer Simon Ertl berichtet, wollte er als mittlerweile studierter Konzerttrompeter der Musik seiner Kindheit und Jugend zu mehr Präsenz und Anerkennung verhelfen. Der 44-Jährige sagt: „Die Blasmusik drohte damals aus der öffentlichen Wahrnehmung zu verschwinden. Kaum jemand hat sie noch ernst genommen. Die Idee war, sie wieder hip und salonfähig zu machen.“

Mittlerweile 100.000 Besucher

Dabei ist Ertl weit über das Ziel hinausgeschossen. Waren die Anfangstage mit 5.000 Besuchern noch eine intime Huldigung der alpenländischen Volksmusik, macht das Woodstock der Blasmusik seinem ehrgeizigen Namen mittlerweile alle Ehre.

Rund 100.000 Besucher haben sich 2024 in der unscheinbaren Gemeinde Ort im Innkreis eingefunden, um die verschiedenen Spielarten der Blasmusik zu feiern. Aber auch, um ein ausgelassenes Fest zu zelebrieren.

Am frühen Nachmittag des zweiten von vier Festivaltagen fließt das Bier denn auch in Strömen. Einige Stunden später findet sich auf der Hauptbühne die rumänische Formation Fanfare Ciocărlia ein. Mit temporeichem Balkan Brass, so die Bezeichnung der ursprünglich serbischen Musikrichtung, gerät der Auftritt des zwölfköpfigen Ensembles zu einem ersten musikalischen Höhepunkt.

Doch obwohl es vor dem Podium brechend voll ist, interessiert sich lange nicht jeder Besucher für die Show. Dafür bietet das großflächige Areal schlicht zu viel Ablenkung. Da wären etwa sechs weitere Bühnen, wovon sich einige in bedenklich aufgeheizten Zelten befinden. Hier präsentieren Musiker die wachsende Vielfalt von Blasmusikinterpretationen.

Die Weiß'ngroana etwa vertreten den angrenzenden Freistaat Bayern in stilvollen Trachten mit einer eher klassischen Auslegung. The Boss Hoss hingegen kommen als Headliner des folgenden Abends mit Blechmusik allenfalls am Rande in Berührung.

Querflöten-Darts und Musi-Minigolf

Ungeachtet der musikalischen Vielfalt amüsiert sich eine Gruppe deutscher Besucher auf einer Art Abenteuerspielplatz, auf dem sie zum Anlass passend abgewandelten Freizeitsport betreiben: Beim Querflöten-Darts etwa versuchen sie mit Hilfe des zum Abschussrohr zweckentfremdeten Instruments Pfeile auf die Zielscheibe zu richten. Anschließend gilt es, beim Musi-Minigolf Hindernisse in Form rostiger Posaunen zu umspielen.

Auf der anderen Seite des Zaunes, der das Festivalgelände von Zeltplätzen und Versorgungseinrichtungen trennt, ziehen derweil immer wieder Blaskapellen vorbei. Nicht selten haben sie eine Polonaise im Gefolge.

Lediglich am Rande des Areals geht es etwas ruhiger zu. Hier verspricht die Festival-Hotellerie mit Glamping-Hütten namens „Brass Vegas“ oder der Honeymoon-Suite „Wladiwoodstock“ etwas Ruhe. Mit offener Türe erholen sich die Bewohner von den Strapazen. Oder sie bereiten sich auf die nächsten Highlights vor.

Ganz in der Nähe befindet sich rund um ein Sportlerheim der Backstage-Bereich für die Musiker, wo Bernhard Holl geduldig auf den späten Auftritt seiner Formation „Wüdara Musi“ wartet. Der 40 Jahre alte Posaunist, Komponist und Arrangeur gehört seit 2011 mit verschiedenen Bands zum festen Stamm der Musiker.

„Unsere Anfänge waren sehr bescheiden“, sagt er. „Aber seitdem haben wir große Schritte gemacht. Wir haben die Blasmusik in Österreich, Süddeutschland und der Schweiz dahin zurückgeführt, wo sie herkommt. Nämlich in die Mitte der Gesellschaft.“ Holl lobt besonders den „positiven Vibe“ und die „coole Crowd“ überall auf dem Festivalgelände. Tatsächlich scheinen die Besucher dort den Alltag weit hinter sich zu lassen, um ein paar Tage in völliger Freiheit zu genießen.

„Love, Peace & Blasmusik“

Das offizielle Motto des Festivals, das auch 2025 im Juni wieder steigt, lautet „Love, Peace & Blasmusik“. Zwei Besucher aus der Pfalz allerdings haben die Losung auf ihren Baseballmützen in „Sex, Drugs und Volksmusik“ abgewandelt. Ähnlich unterschiedlich ist auch das Programm der Fans.

Einige eilen von Auftritt zu Auftritt. Andere bevorzugen es, sich spärlich bekleidet und mit Bierdosen bewaffnet im Fluss abzukühlen. Dritte sitzen vor ihren Zelten, wo sie zotige Sprüche auf Schilder aufgemalt haben. Doch im ländlichen Oberösterreich nehmen selbst die weiblichen Fans dies mit einem gleichgültigen Schulterzucken hin.

Auch gesunder Lebensstil, Körperkult und andere verbreitete Phänomene unsere Zeiten sind beim Woodstock der Blasmusik allenfalls von untergeordneter Bedeutung: Das Publikum konsumiert mit sichtbarer Freude große Mengen an Bier. Die beliebtesten Snacks sind Würstchen und Braten. Und ein kurzer Blick in die Menge bestätigt, dass Body-Shaming hier ein Fremdwort ist.

Möglicherweise tragen diese Aspekte zum Erfolg des Festivals bei. Vielleicht aber liegt es auch daran, dass die Veranstaltung komplett unpolitisch ist. Weder Gründer Simon Ertl noch Veteran Bernhard Holl können sich entsinnen, dass die starken rechten Parteien des Landes versucht hätten, die traditionelle Grundausrichtung für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Und anstelle von Regenbogenflaggen wehen die Fahnen von Fußballvereinen über den Zeltplätzen.

Und alle jetzt

Stark hingegen ist das Gemeinschaftsgefühl unter den Besuchern. Wie Ertl erläutert, sind viele von ihnen selbst Musiker. Dies beweist das Publikum am dritten Tag eindrucksvoll beim sogenannten Gesamtspiel. Kurz vor 13 Uhr finden sich in der brütenden Mittagshitze etwa 20.000 Frauen und Männer mit ihren Instrumenten ein.

Schilder weisen auf die Sammelpunkte für Querflötisten, Triangel-Spieler oder Trompetern hin. Als alle vor Ort sind, stimmen sie unter Anleitung eines Dirigenten ein Ohrwurm-Medley mit Auszügen aus Evergreens wie „Böhmischer Traum“ oder „Wir Musikanten“ an. Ein imposantes Schauspiel, das die Feuerwehr begleitet, indem sie mit Wasserwerfern für Abkühlung sorgt.

Der abschließende Sonntag beginnt mit einem gut besuchten ökumenischen Gottesdienst, den das österreichische Fernsehen live überträgt. Danach schlägt die große Stunde der Kinder, die seit 2023 ihr eigenes Großkonzert geben. Beim „Gesamtspielchen“ vor der Hauptbühne sorgen sie nicht nur bei den stolzen Eltern für viel Freude. Zugleich sind sie der lebende Beweis für die These, dass die Zukunft der Blasmusik gesichert scheint.

Links, Tipps, Praktisches:

Das Festival: Das „ Woodstock der Blasmusik“ findet 2025 vom 26. bis 29. Juni statt. Angekündigt sind 120 Formationen mit 1.500 Musikern, die auf sieben Bühnen auftreten. Zu den Headlinern gehören Brassaranka aus Oberösterreich und Querbeat aus Bonn. Eintrittskarten sind für alle vier Tage (209 Euro) oder für einzelne Tage (99 Euro) erhältlich. Einige Übernachtungsmöglichkeiten sind noch buchbar, andere bereits ausverkauft.

Reiseziel: Das Festival findet außerhalb des kleinen Dorfes Ort im Innkreis etwa 30 Kilometer südlich von Passau im Bundesland Oberösterreich statt.

Anreise: Mit dem Zug über Passau bis nach Hart im Innkreis, von dort sind es zwei Kilometer bis zum Festivalgelände. Nächstgelegene Flughäfen sind Linz und Salzburg. Auch die Kombination mit einem Aufenthalt in Wien einfach möglich.

© dpa-infocom, dpa:250415-930-443069/1

(dpa)