Alles fließt: Verkehr wird zum Geschäft
Stuttgart (dpa) - Scheinbar quälend langsam bewegt sich die Schlange vor der Sicherheitskontrolle am Stuttgarter Flughafen. Einige Reisende stellen schon ihre Taschen ab. Doch der Schein trügt. Nur drei Minuten beträgt die Wartezeit - das zumindest behauptet die Anzeige über der Bordkarten-Kontrolle.
Seit 2013 setzt der Flughafen ein elektronisches System ein, um Passagierströme vor den Sicherheitskontrollen zu messen. 19 Sensoren in der Decke bilden die Menschen in der Halle des Terminal 1 als Datenpunkte ab. Die Software, an die die Sensoren ihre Informationen weitergeben, misst, wie schnell sie sich von ihrem Standort über eine bestimmte Ziellinie bewegen.
Wird die Wartezeit zu lang, erscheint ein grünes Männchen mit Rollköfferchen im Display über dem Kontrollpunkt und zeigt an, ob es in anderen Terminals schneller durch die Sicherheitsschleuse geht. Bei den kurzen Wegen in Stuttgart kein Problem. Das Programm soll nicht nur den Passagieren helfen. Wenn man weiß, wohin sich die Menschen bewegen, nutzt das auch Ladengeschäften, Bars und Cafés.
Was in kleinem Maßstab am Stuttgarter Flughafen passiert, daran tüfteln auch Verkehrsplaner und Firmen für den Autoverkehr. Verkehrsleitzentralen haben Kameras aufgestellt, vor Ampeln messen Induktionsschleifen im Boden das Verkehrsaufkommen - neuerdings werden Bewegungsdaten von Navigationsgeräten, Handys und in Zukunft wohl auch von den Autos selbst produziert. Das Geschäft mit der Verkehrsprognose hat längst neue Spieler wie Google oder den Verkehrsdatenanbieter Inrix auf den Plan gerufen.
Grenzen setzt in Deutschland der Datenschutz. Nur anonymisierte Daten werden weitergegeben - die Zustimmung des Nutzers vorausgesetzt. Trotzdem wird versucht, den größtmöglichen Nutzen aus den Informationen zu schlagen. Eine Hoffnung: Wenn der Verkehr fließt, hilft das auch CO2 einzusparen. Laut einer Studie, die der europäische Automobilverband Acea in Auftrag gegeben hat, könnten zehn Prozent CO2 eingespart werden, wenn Navigationssysteme möglichst ökonomisch Routen an die aktuellen Verkehrsverhältnisse anpassen.
In Nordrhein-Westfalen etwa werden an 2500 Messpunkten auf den Autobahnen im Minutentakt Wetter- und Verkehrslage erfasst. Darüber hinaus seien an neuralgischen Autobahnpunkten Webcams aufgestellt, erklärt Hanno Bäumer, Leiter der Verkehrszentrale NRW. Dazu kauft das Land sogenannte „Floating Car Data“ - aktuelle GPS-Daten von Verkehrsteilnehmern - vom ADAC ein. Bislang werden die Informationen dazu verwendet, die aktuelle Verkehrssituation darzustellen und gegebenenfalls einzugreifen. Mit Hilfe von dynamischen Informationstafeln können Autofahrer auch ohne internetfähige Autos informiert und umgeleitet werden.
Verlässliche Prognosen erwarten die Verkehrsplaner in NRW mit zunehmender Digitalisierung, wenn immer mehr Autos ihre Position und Geschwindigkeit an eine Verkehrszentrale funken sollten.
Der nächste Schritt zur Verkehrsprognose ist aber schon jetzt nicht weit. „Die Daten sind vorhanden“, sagt Claus Doll vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI. Informationen von zehn Prozent der Verkehrsteilnehmer reichten aus, um das Verhalten eines Stroms zu prognostizieren. Wenn Taxen und Fuhrparks von Firmen mit GPS-Sendern ausgestattet seien, genüge das, um ausreichend „Floating Car Data“ zu produzieren. „Das Zusammenführen ist eine machbare Aufgabe“, sagt Doll.
Der IT-Konzern IBM arbeitet an Programmen, die die Daten zusammenführen, um dann Vorhersagen zu treffen. Die Auftraggeber sind Städte, Autohersteller und Verkehrsverbünde - auch in Deutschland. Die Karlsruher Firma PTV ist seit 36 Jahren im Geschäft mit Verkehrsdaten. Sie rechnet Daten für Verkehrsmodelle hoch. Inzwischen werden auch Echtzeitdaten verarbeitet. PTV arbeitet mit TomTom zusammen, um anonymisierte Bewegungsdaten zu erhalten. Für die Stadt Leipzig bereitet PTV Verkehrsinformationen insbesondere für E-Auto-Nutzer auf. Denn wegen der geringen Reichweite ist es für sie besonders wichtig, möglichst wenig Strecke zu verschwenden.
Der Teufel steckt im Detail. Siemens entwickelt intelligente Ampeln, die künftig auch mit den näher kommenden Autos kommunizieren - ihnen also anzeigen, wann die nächste Grünphase kommt. Dadurch können Standzeiten und die Gefahr von Staus vermieden werden. „Aktuell ist die Erfassung passiv, in Zukunft wird sich das Auto auch selbst mitteilen“, sagt Wilke Reints, Entwicklungsleiter des Bereichs Intelligent Traffic Systems.
Dass irgendwann einmal Staus komplett vermieden werden, ist nach Ansicht von Doll allerdings unwahrscheinlich. „Infrastruktur ist nicht dafür gebaut, leer zu sein“, sagt er. Autobahnen würden nicht auf zehn Spuren ausgebaut, um die Verkehrsspitzen zu bewältigen und ansonsten leer zu stehen.