Ein Land als Kulturhauptstadt Bei „Valletta 2018“ feiert ganz Malta
Valletta (dpa/tmn) - Um sein kulturelles Wirken zu beschreiben, wählt der Feingeist einen eher martialischen Vergleich: „Ich bin ein Rottweiler. Wenn ich einmal meine Zähne in etwas geschlagen habe, lasse ich so schnell nicht los“, erklärt Kenneth Zammit Tabona in seiner Wohnung in St. Julian's auf Malta.
Das Wohnzimmer des Malers steht voller antiker Möbel, die Wände tragen Gemälde bis zur Decke, ein Hausangestellter und Vertrauter der Familie serviert Kaffee und typisch maltesische Kekse.
Tabona, 60, ist ein schöpferischer Tausendsassa, Gesellschaftskenner - und der künstlerische Leiter des erfolgreichen Baroque Festivals, das seit 2013 auf Malta veranstaltet wird. Schauplatz ist das Manoel-Theater von 1732, eine der ältesten noch bespielten Bühnen der Welt. Das Jahr 2018 soll für das Barockfest ganz besonders werden: Valletta ist neben dem niederländischen Leeuwarden eine der beiden Europäischen Kulturhauptstädte. Wobei, Valletta? Eher ganz Malta.
„Inoffiziell machen wir das, wir dehnen das Kulturhauptstadtjahr auf die ganze Insel aus“, räumt Tabona ein und schaut von seinem Sessel amüsiert aus dem Fenster seines barocken Reichs. Selbst die Tourismusbehörde spricht ganz offen von einem inselweiten Fest, bei dem Valletta als Dreh- und Angelpunkt diene. Das ist das Besondere: Es heißt zwar Kulturhauptstadt Europas, doch eigentlich feiert das ganze Land. Dafür gibt es gute Gründe.
Valletta ist nicht nur die südlichste, sondern auch die kleinste Hauptstadt der EU. Nur knapp 6000 Menschen leben hier auf einer Fläche von nicht einmal einem Quadratkilometer - das ist weniger als halb so groß wie der Tiergarten in Berlin. Dafür gehört ganz Valletta seit 1980 zum Unesco-Weltkulturerbe. Jedes einzelne Haus der Altstadt steht unter Denkmalschutz. Außerdem ist wohl keine europäische Stadt so befestigt wie Valletta, gelegen auf einer Landzunge, von drei Seiten von Wasser umgeben. So konnte die Stadt nie wachsen.
Ihren Ursprung hat die Geschichte im Jahr 1530: Kaiser Karl V. übergab Malta als Lehen den Rittern des Johanniterordens, der später als Malteserorden bekannt wurde. Damals gehörte die Insel zum Königreich Spanien, das von den Habsburgern regiert wurde. „Karl gab Malta den Rittern“, so Tabona. „Das hat alles verändert.“ Auf das abgeschiedene Eiland kamen nun Würdenträger aus Reichen, die das mittelalterliche Europa dominiert hatten. Die Kultur erblühte.
Nach der Großen Belagerung durch die Osmanen 1565 gründete der damalige Großmeister des Malteserordens, Jean de la Valette, die nach ihm benannte Festungsstadt Valletta. Der Orden schlug die Invasoren zurück, versklavte seinerseits aber auch Muslime. Wichtigstes Zeugnis jener Zeit ist der Großmeisterpalast mit seiner Waffenkammer, die bedeutendste Sehenswürdigkeit Vallettas.
Von 1798 an plünderten die Franzosen unter Napoleon die Insel, bis Malta 1814 britische Kolonie wurde. Die Unabhängigkeit folgte 150 Jahre später. Viel Geschichte also auf kleinstem Raum. Ist das kleine Valletta heute nur noch ein großes Freilichtmuseum? Keineswegs.
Im zentralen „Caffe Cordina“ sitzen die Menschen am Nachmittag unter Sonnenschirmen, trinken Kaffee oder Aperol Spritz und knabbern an süßem Gebäck: zum Beispiel Kannoli mit Ricotta, ein kulinarischer Import aus Sizilien. Die Bedienungen hasten aus dem Traditionscafé und kommen mit den Bestellungen kaum nach.
Doch nicht nur hier, im Touristenzentrum, ist die Altstadt belebt. Und nicht nur Urlauber bummeln durch die Gassen, auch die Malteser selbst haben Valletta wieder für sich entdeckt. Die Geschäfte sind voll, die Cafés besetzt. Vielerorts haben neue Boutique-Hotels eröffnet. „Valletta ist the place to be, das war lange nicht so“, sagt Tabona.
Natürlich, der Großmeisterpalast ist auf einer Besichtigungstour durch Valletta seit jeher gesetzt, genauso wie die Kathedrale St. John's. Und auch die Casa Rocca Piccola, ein mehr als 400 Jahre altes privates Wohnhaus, wird schon seit Jahrzehnten gerne besucht. Es gehört der maltesischen Familie de Piro. Der Besucher spaziert durch prunkvolle Zimmer: Archiv, Bibliothek, Kabinett, Familien-Kapelle, Großer Saal, Sommer- und Winter-Speisesaal, chinesischer und grüner Raum. Unter dem Haus befindet sich ein alter Luftschutzbunker.
Doch mit Blick auf das Kulturhauptstadtjahr muss sich die Stadt nicht allein auf alte Schätze verlassen. Es hat sich einiges getan in Valletta: Der Stararchitekt Renzo Piano hat das alte City Gate durch zwei kühle Betonquader ersetzt. Auch das neue Parlamentsgebäude geht auf einen Entwurf des Italieners zurück. Die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Oper hat er in ein Freilichttheater verwandelt. Projekte wie diese haben die Hauptstadt, die in vielen Gassen noch immer recht morbid anmutet, auch für die Malteser wieder interessant gemacht.
Das Kulturhauptstadtjahr soll Valletta weiteres Leben einhauchen. Mehr als 140 Kulturprojekte und 400 Events sind geplant - von klassischer Oper über Performance Art und Design bis zu Musik und Film. Zur Eröffnungsveranstaltung am 20. Januar wird auf den Plätzen der Stadt Musik, Theater, Tanz und Videokunst geboten. Das alles soll zusammen eine einzige große „Festa“ ergeben. Die Historie der Stadt, das große kulturelle Erbe, soll lebendig werden.
So blicken die Touristiker auf Malta optimistisch auf 2018. Man erhofft sich 180 000 deutsche Touristen. Im Jahr 2016 waren es knapp 157 000. Die Marketing-Strategen wollen die Kombination aus Kultur und Sonne hervorheben. Schließlich hat Malta auch außerhalb Vallettas viel Geschichte zu bieten: das Hypogäum von Hal-Saflieni, das malerische Mdina, bedeutende Megalith-Tempel, die imposante Kirche Maria Himmelfahrt in Mosta. Verschmerzbar ist es da, dass das bei Touristen beliebte Felsentor „Azure Window“ auf der Nachbarinsel Gozo im März 2017 ins Meer stürzte - für immer zerstört.
Sandro Debono ist ein Mann des Kulturbetriebs, der den Boom Vallettas nicht ohne Skepsis sieht. Der Kunsthistoriker war Museumsdirektor des alten National Museum of Fine Arts und ist Projektleiter des Umbaus zum neuen Kunstmuseum MUZA, das Mitte 2018 eröffnen wird.
In einem kleinen Restaurant in Valletta hat Debono einen Teller mit Schafskäse bestellt und erzählt, wie er die Dinge sieht: „Es gibt eine positive Geschichte, die viel mit Möglichkeiten zu tun hat, und eine negative, die viel mit Ängsten und Bedrohungen zu tun hat. Und manchmal ist es schwierig, zwischen beiden zu unterscheiden.“
Die Preise für Mieten und Immobilien seien enorm gestiegen, erzählt Debono. „Geschäftsleute sagen, wenn du einen Penny hast, investiere ihn in Valletta.“ Für die normalen Leute sei es viel schwieriger geworden, in der Stadt zu leben. Das Kulturhauptstadtjahr werde noch mehr Druck ausüben. Es geht, wie so oft bei der Aufwertung einer Stadt, um die Verdrängung der Bevölkerung. „Wir verlieren unsere Seele. Nicht die Shops machen Valletta aus, sondern die Menschen“, mahnt Debono. Der Politik sei das Problem bewusst.
Künstler Kenneth Zammit Tabona teilt die Sorgen. „Ich habe Angst, dass der Charakter Vallettas verloren geht. Dass die Läden nicht mehr Pastizzi verkaufen, sondern auf einmal belgische Schokolade.“ Viele Häuser würden von Spekulanten gekauft, die sich dann über Feste in den Straßen beschwerten. Doch zumindest im Kulturhauptstadtjahr müssen Touristen sich um das pralle Leben in Valletta nicht sorgen.
Was die Strahlkraft des Events zuletzt etwas überschattet hat, war der Mord an der investigativen Journalistin Daphne Caruana Galizia. Sie wurde von einer Autobombe getötet. Die Täter konnten bislang nicht identifiziert werden. Es gab Proteste in Valletta, die sich gegen Ungerechtigkeit und Korruption in der Politik richteten. Malta geriet in die Schlagzeilen - als dubioses Steuerparadies.
Für Urlauber dürfte 2018 trotzdem die Kultur im Vordergrund stehen, zusammen mit den vielen Sonnenstunden der Mittelmeerinsel. Und die Gassen in Valletta dürften noch belebter sein als ohnehin schon. Die Stadt hat einen besonderen Charme, gerade weil sie so klein ist. Tabona weiß das. „Ich könnte mich heute dafür treten, keine Wohnung in Valletta gekauft zu haben. Vor zehn Jahren hätte ich einen kleinen Palast bekommen.“ Heute befindet sich in einem solchen Objekt im Zweifel ein neues Boutique-Hotel.