Bunte St. Martinszüge in Posen

Nicht nur im Rheinland wird St. Martin gefeiert, sondern auch im westpolnischen Posen. Dort gibt es statt Weckmann Martinshörnchen.

Foto: Wolfgang Radau

Posen. Die Sage ist kurz erzählt und die gleiche wie bei uns: Der römische Legionär Martin teilt mit einem frierenden Bettler am Wegesrand seinen warmen Mantel. In Posen (heute Poznan) wird das seit dem 18. Jahrhundert zum Anlass genommen, Arme zu beschenken. Daraus ist in der Stadt an der Warthe ein Feiertag geworden.

Foto: Wolfgang Radau

Im Mittelpunkt steht am 11. November der Festgottesdienst in der barocken einstmaligen Jesuitenbasilika im Herzen der Stadt. Im Anschluss bewegt sich ein bunter Zug von Kindern und Erwachsenen, mit Gauklern, Artisten, Stelzenläufern und Musikanten hinter dem römischen Reitersmann die größte Straße Posens hinauf, die Sankt-Martin-Straße. Dort, vor dem neoromanischen „Kaiserschloss“, das Wilhelm II. 1905 bis 1910 errichten ließ (Posen gehörte von 1793 bis 1919 zu Preußen), darf gefeiert werden. Mit Konfetti und Luftballons, Musik und Feuerwerk — und jenen Martinshörnchen.

Ein Bäcker, so geht die Posener Überlieferung, hörte am Martinstag im Jahre 1891 Pferdegetrappel und sah einen Reiter, dessen Schimmel ein Hufeisen verlor. Er nahm das zum Anlass, ein Kuchenteilchen in Hufeisenform zu backen: ein Hefe-Croissant, gefüllt mit einer Masse aus süßer Sahne, weißem Mohn, gemahlenen Nüssen, Rosinen, Datteln und Feigen. Das Ganze überzogen mit Zuckerguss.

300 (!) Tonnen von diesem mächtigen Gebäck vertilgen die Posener um Sankt Martin. Die Zahl der Bäcker, die in Posen (und nur dort) Martinshörnchen verkaufen dürfen, ist in einem EU-Dekret auf 100 limitiert. Die Lizenz muss immer neu beantragt werden. In einem Wettbewerb wird jedes Jahr der beste Hörnchen-Bäcker gekürt.

„Sie schmecken am besten, wenn man sie mit Freunden teilt.“

Tomasz Wawrzyniak

In einer Museums-Bäckerei am Alten Markt backt Thomasz Wawrzyniak mit Besuchern die gut 200 Gramm schweren Köstlichkeiten. „Sie schmecken am besten, wenn man sie mit Freunden teilt“, versichert Tomasz. Und wenn der Hefeteig einmal nicht gelingt? „Dann schicken wir ihn nach Warschau“, sagt der Posener mit einem Augenzwinkern.

Warschau ist die Hauptstadt, aber in Posen „begann vor mehr als 1000 Jahren die Geschichte der Nation, des Staates und der Kirche“. Das sagte niemand geringerer als der polnische Papst Johannes Paul II., als er 1983 die Stadt und die Dominsel besuchte, auf der 966 die ersten Christen getauft wurden.

Auf der Insel steht heute die mit fünf barocken Turmhelmen gekrönte Basilika Sankt Peter und Paul mit ihrem prächtigen goldenen Altar. In unmittelbarer Nähe, an der Warthe, erzählt in altem Gemäuer ein nagelneues Museum mit modernster Medien-Animation die wechselhafte Geschichte der heute rund 600 000 Einwohner zählenden Stadt Posen und des Landes Polen.

Alt und neu — dieser Gegensatz begegnet dem Besucher immer wieder in der Messestadt. Eine alte Brauerei ist mit viel Geld und gutem Architekten-Geschmack zu einem Center ausgebaut worden, in dem zu gleichen Anteilen gediegene Mode, moderne Kunst, pfiffige Cafés und ein schickes 22-Zimmer-Arthotel zu Hause sind. Stary Browar heißt der Komplex, BlowUp Hall 5050 das Hotel.

Ein Kleinod liegt auf dem Fußweg von der Dominsel zur Altstadt: das mit modernen Skulpturen ausgestattete Lokal „Weinbrücke“. Auf 27 Quadratmetern finden an zwei Tischen acht Gäste Platz. Klein, aber oho: Der Koch bereitet aus traditionellen Zutaten eine moderne polnische Küche. Lecker, leicht und erstaunlich preiswert. Und wenn mehr Gäste kommen als Platz ist, dann setzt der Wirt Tische und Stühle auf die Warthe-Brücke vor der Tür und schafft noch zwei, drei Plätze in der Küche.

Posen ist gar nicht so weit entfernt. Germanwings zum Beispiel fliegt in 70 Minuten von Düsseldorf in die Stadt, in der die Könige zu Hause waren und reiche Händler ihre baulichen Visitenkarten hinterlassen haben.

Die großen Touristenströme fließen eher nach Danzig und Krakau. Das erhält der alten, durch seine Hochschulen ständig jung bleibenden Stadt Posen einen eigenen Charakter: Heiterkeit ohne Hektik. Die besonders bei abendlicher Beleuchtung romantische Altstadt mit ihren bunten Krämerhäusern rund um das Renaissance-Rathaus bietet fast mediterrane Gemütlichkeit. Die Plätze und Gassen lassen sich bequem zu Fuß durchbummeln. Wenn nur das Schuhwerk stimmt. Das alte Pflaster ist nichts für hohe Absätze.

Der Autor reiste mit Unterstützung des polnischen Tourismusamtes.