Der Stoff, aus dem die Filme sind

Der Snowdonia Nationalpark im Nordwesten von Wales beeindruckt mit Landschaften und Legenden. Auch Filmemacher lieben die Gegend und nutzen sie als Kulisse.

Der Stoff, aus dem die Filme sind
Foto: Sven Schneider

„Dort hinten fand das Gemetzel statt“, sagt John Hadwin und weist mit einem Grinsen auf dem Gesicht auf ein Seitental des Mount Snowdon. Der 57-Jährige steht auf dem Parkplatz des Pen-y-Gwryd-Hotels am Llanberis Pass, und der Blick folgt seinem Arm zu einem sanft geschwungenen Einschnitt in der Gebirgskette. Mit grünen Hängen, ein paar großen Findlingen, dahinter ein See. Der Llyn Llydaw schimmert blau in der Nachmittagssonne, ein Schatten kriecht vom benachbarten Mount Snowdon über die Wiesen. Doch von einem Gemetzel keine Spur. Nicht einmal umgeknickte Grashalme sind in dem mit gelbem Ginster geschmückten Tal zu sehen. Es wirkt eher friedlich. Dennoch ist Hadwin sicher, seinem Gast mit dem Tal von Llyn Llydaw die neueste Attraktion von Wales zu demonstrieren. Auch, wenn sie schon 450 Millionen Jahre alt ist.

Dort, an den Hängen des Mount Snowdon, wuselte noch vor 15 Monaten ein Heer von Schauspielern, Statisten und Kameraleuten durch die Gegend. Und kaum fiel die Klappe, rannten alle aufeinander zu und schlugen sich die Köpfe ein. Englands Star-Regisseur Guy Ritchie setzte in der Senke und an anderen Orten im Snowdonia Nationalpark im Nordwesten von Wales sein neuestes Epos in Szene, eine mehr als 100 Millionen Dollar teure Neuverfilmung der Abenteuer von König Artus.

John Hadwin, Guide

Hadwin weiß, was nach der Veröffentlichung des Films folgen wird. „Dann kommen die Fans“, sagt er, in Scharen werden Nerds und Cineasten wieder durch die Wiesen und Wege streunen und versuchen, die Filmlocations auszumachen und Selfies zu knipsen. Und für einen Panoramablick, ebenso wie es ihn auf der Leinwand zu sehen gibt, biete sich dieser Parkplatz neben der seiner Meinung nach szenischsten Straße von Wales einfach an. Eine bessere Sicht gebe es nicht, zumal direkt daneben das benachbarte Tal von Pen-y-Gwryd liegt.

Auch dort prallten die Schwerter der Schauspieler aufeinander. Der Filmtourismus ist in Großbritanniens drittgrößtem Nationalpark nicht neu. Seit mehr als 60 Jahren schon surren dort die Kameras. Meist geht es lediglich um einzelne und kurze Szenen. Bei den beiden dort gedrehten James Bond-Filmen „Liebesgrüße aus Moskau“ und „Die Welt ist nicht genug“ ist die Landschaft der walisischsprachigen Gwynedd-Region nur ein paar Sekunden oder Minuten im Bild. Nicht gerade üppig, aber aus Namedropping-Gesichtspunkten enorm viel wert. „Bond zieht immer“, sagt Hadwin.

Jeder in der walisischsprachigen Gwynedd-Region — drei Viertel der Einwohner beherrschen das lokale gutturale Keltisch, das sich auch auf den Ortsschildern wiederfindet — kennt die Geschichten, der Werbefaktor ist hoch. Und warum auch nicht, schließlich helfen die Dreharbeiten der lokalen Wirtschaft. Als beispielsweise das Filmteam von „Tomb Raider 2“ keine Drehgenehmigung für China erhielt, filmte man Szenen der Motorrad fahrenden Angelina Jolie statt an der Großen Mauer am See Llyn Gwynant. Das mächtige Bauwerk wurde einfach digital in den Film hineinkopiert — während die Schauspielerin vor den riesigen bemoosten Findlingen der Umgebung ein paar wilde Stunts vollführt. Nur zehn Tage war die Crew vor Ort — doch in dieser Zeit wurden insgesamt 50 lokale Zimmerleute und Statisten beschäftigt, um ein walisisches in ein chinesisches Dorf zu verwandeln. Ein Mummenschanz, aber einer, der sich laut John Hadwin lohnt: „Da bleibt immer etwas für uns Einheimische hängen.“

Interessant dabei: Die einzelnen Locations ziehen Touristen aus unterschiedlichen Nationen an. Während Chinesen am liebsten ins kleine Dörfchen Beddgelert pilgern, das 1958 für die Verfilmung „Die Herberge zur sechsten Glückseligkeit“ mit Curd Jürgens und Ingrid Bergmann ein Dorf in China doubelte, zieht es Briten vorzugsweise in den kleinen Ort Portmeirion, eine Ansammlung von nach mediterranem Vorbild bonbonbunt getünchten Häusern an der Küste.

Zwar wollte der Architekt Clough Williams-Ellis zu Beginn der 1920er-Jahre lediglich einen künstlichen Ort schaffen, der die Inspiration ebenso beflügelt wie das italienische Vorbild Portofino ihn. Aber nachdem in den 60ern die Agentenserie „The Prisoner“ gedreht wurde, ein Straßenfeger im Vereinigten Königreich, zieht es dort jährlich rund 250 000 Touristen hin.

Sie wandern durch den gepflegten 70 Hektar großen Forst von Portmeirion, bestaunen die Bogengänge und Statuen, stolpern über das Kopfsteinpflaster und genießen die Tatsache, am Set ihrer Lieblingsserie zu sein. Zuweilen zum Unmut der wenigen Urlauber, die sich in den Häusern für ein paar Tage einmieten. So wie Mark Hartford aus Birmingham. Der Hobby-Künstler steht auf dem Söller seiner Pension, und versucht, die unwirkliche Pastellszenerie des Ortes auf die Leinwand seiner Staffelei zu bringen. „Aber ganz im Ernst“, sagt er, „wenn dauernd irgendein Tourist durchs Bild latscht, ist man einfach nur genervt.“

Auch manchen Snowdonians stoßen die Dreharbeiten und der Fanhype sauer auf — selbst, wenn die Filmteams schon lange abgezogen sind. Rund ein Jahr ist es her, dass die King-Arthur-Crew auf den grob ummauerten Feldern im Ogwen Valley die Kameras anschmiss. Rund drei Monate machten sich Schauspieler, Setdesigner, Beleuchter und Caterer auf den Parzellen breit und erschwerten Farmern wie Gwynne Hughes die Arbeit.

Noch heute schimpft der aufbrausende Mann mit dem weißen Schnauzer über die Einschränkungen, dass er nicht seine Schafe auf die Weiden führen konnte, noch nicht einmal seinen blauen Landrover habe er gescheit fahren können. „Es gibt ja nur eine Straße, und die haben die Leute vom Film verstopft.“ Und wie aus einer Abwehrhaltung heraus fährt er noch heute immer ein wenig langsamer, wenn auf der schmalen Straße der Mietwagen irgendeines Touristen im Rückspiegel erscheint. „Aber nur aus Spaß“, sagt er, er erfreue sich dann immer an den wütenden bis fassungslosen Gesichtern der Fahrer, nur um nach einer Weile dann doch Platz zu machen. „Die Show ist dann großartig“, meint er. „Besser als jeder Film.“ Der Autor reiste mit Unterstützung von Visit Britain.