Everglades: Tour zu trockenen Tümpeln

Florida: Das Ökosystem Everglades schrumpft, das Wasser wird immer knapper.

Düsseldorf. Das schlechte Gewissen regt sich sofort. "Das Wasser, das Sie heute Morgen im Hotel in Miami zum Duschen benutzt haben, stammte aus den Everglades", sagt Dan B. Kimball, der Chef des Nationalparkbüros westlich von Homestead. "Es kam nicht unbedingt aus dem Nationalpark, aber es war aus dem Ökosystem."

Kimball meint das nicht vorwurfsvoll, aber es ist eine Tatsache, die zum Nachdenken anregen soll. Denn wer in die Everglades reist, sollte nicht nur kommen, um wilde Alligatoren zu sehen und außerhalb des Nationalparks eine rasante Airboat-Tour durch die weite Graslandschaft zu erleben. Der äußerste Süden des US-Bundesstaats Florida ist auch ein Öko-Klassenzimmer.

Ein flaches Land, hohes Gras, Kanäle und Tümpel - so kennen viele USA-Touristen die Everglades. Auf den ersten Blick ist die Natur unberührt. Tatsächlich jedoch hat der Mensch massiv in das Ökosystem eingegriffen. "Nur noch 20 Prozent der Wassermenge von einst kommen in den Everglades an", erklärt Kimball und zeigt auf die Landkarte.

Dort ist der natürliche Wasserfluss vom Lake Okechobee im Zentrum Floridas nach Süden eingezeichnet. In der Regenzeit im Sommer füllt er die Everglades, die anschließend langsam wieder trockenfallen. Doch seit dem späten 19. Jahrhundert hat ein Kanalsystem diesen Fluss aus dem Rhythmus gebracht - es leitet das Regenwasser ab zum Atlantik und zum Golf von Mexiko, wo es große Agrarflächen zu bewässern hilft und wo der Wasserbedarf von Einheimischen und Touristen gestiegen ist.

Die Folgen dessen, was Kimball ein "ökologisches Desaster" nennt, lassen sich am Anhinga Trail besichtigen, einem Besucherpfad in der Region Royal Palm im Osten des Nationalparks. Ein Holzsteg führt über einen Slough. Das wird "Slu" ausgesprochen und bezeichnet einen sehr langsamen Wasserlauf durch die Graslandschaft, in dem sich Fische, Alligatoren, Schildkröten, Schlangen und Frösche tummeln.

Heute hat Ranger Leon Howell hier Dienst, und er sucht für seine Begleiter nach großen Schreitvögeln. Lange Ausschau halten muss er zwar nicht, aber allzu viele Kanadareiher lassen sich nicht blicken. "Tut mir leid. Im Vergleich zum Jahr 1900 sind nur noch zehn Prozent der Schreitvögel in den Everglades übrig", entschuldigt sich Leon.

Etwa 45 Minuten dauert es, den Anhinga Trail zu laufen. Benannt ist er nach einem Vogel, der unter Wasser nach Beute jagt und danach seine Flügel zum Trocknen in der Sonne ausbreitet. Am Slough kann er das immer, denn diese Plätze führen auch in der Trockenzeit ständig Wasser. In anderen Teilen der Everglades ist das in vielen Monaten des Jahres nicht mehr möglich.

Auch andere Tiere müssen deswegen zusammenrücken: "Wo man früher an guten Tagen zehn Alligatoren an einem Ort sah, sind es heute 100", sagt Mark L. Kraus, Vizepräsident der Everglades-Stiftung. "Wir haben die Hälfte der südlichen Everglades verloren", klagt er. Dazu hätten auch Brände beigetragen: "Große Feuer sind hilfreich, wenn sie alle sieben bis zehn Jahre kommen. Das war der natürliche Verlauf. Inzwischen passieren sie aber jedes Jahr."

Ziel von Umweltschützern und der US-Regierung sei es, "eine Balance zu finden zwischen der Natur und den Bedürfnissen von fünf bis sechs Millionen Menschen im Süden Floridas", sagt Kraus - zum Beispiel dem Wunsch, morgens in Miami zu duschen. Dafür sorgen soll der Comprehensive Everglades Restoration Plan aus dem Jahr 2000. Er gilt als größtes Projekt zur Wiederherstellung einer natürlichen Umwelt weltweit. "Er kostet elf Milliarden Dollar, dauert 50 Jahre und wird mich den Rest meines Lebens beschäftigen", sagt der Naturschützer.

Viele Touristen unternehmen von Miami aus Tagesausflüge in die Everglades. Die Hauptroute ist die vom östlichen Nationalpark-Eingang über Royal Palm zum Aussichtspunkt Pa-hay-okee.

Von dort führt die Straße nach Süden bis zum Besucherzentrum in Flamingo. Eine Alternative ist eine Fahrt von Miami aus nach Westen in Richtung Fort Myers. Dort zweigt am Besucherzentrum Shark Valley eine Straße in den Nationalpark ab.

Täglich um 14.15 Uhr erzählen die Ranger hier Interessantes aus dem Park - zum Beispiel, dass die Wahrscheinlichkeit, einen Alligator zu sehen, in der Trockenzeit viel größer ist als in der Regenzeit im Sommer, wenn die Tiere in die gesamten Everglades ausschwärmen können. Die Regenzeit 2009 sei ganz gut gewesen, heißt es im Nationalparkbüro. Bis die Touristen wieder vermehrt auf trockene Tümpel treffen, dürfte es diesmal einige Wochen länger dauern.

Langfristig sorgt sich Dan B. Kimball dennoch - nicht nur wegen des Süßwassers aus dem Norden, sondern auch wegen des Salzwassers aus der Florida-Bucht, das in den Park gedrückt werden dürfte. Denn als Folge des Klimawandels könnte der Wasserspiegel rund um Florida bis zum Jahr 2100 um bis zu 90 Zentimeter steigen. Doch 60 Prozent des Nationalparks liegen maximal einen Meter über dem Meer - keine gute Perspektive für das sensible Ökosystem.

Auch Ranger Leon Howell hat sich dazu schon seine Gedanken gemacht. "Wenn wir die Everglades verlieren", sagt er, "geht eine Farbe des Regenbogens."