Harz: Winterwald unter Volldampf
Dampflokomotiven schnaufen durch die weiße Landschaft – und hinauf auf den Brocken.
Harz. Dampflokomotiven, die durch verschneite Landschaften schnaufen, gehörten vor einem halben Jahrhundert noch zum Winteralltag. Der Fortschritt vertrieb die "schwarzen Riesen", schwere Elektroloks und schnittige Triebköpfe traten an ihre Stelle. Kenner wissen allerdings, wo Dampfloks bis heute ihren regulären Dienst versehen und besondere Touristenattraktionen sind - auch im Winter.
"Da müssen Sie in die Mittelgebirge", empfiehlt Tim Schröter aus Leipzig, der Eisenbahngeschichte zu seinem Hobby erkoren hat. Dort fahren zwei Dampflokomotiven täglich nach Winterfahrplan: die Harzer Schmalspurbahnen und die Fichtelbergbahn im Erzgebirge.
"Unsere Gesellschaft befährt das längste zusammenhängende Schmalspurnetz", erklärt Heide Baumgärtner, Sprecherin der Harzer Schmalspurbahnen am Firmensitz Wernigerode. "Besondere Attraktion ist die Fahrt auf den Brocken hinauf, Norddeutschlands höchster Berg. Täglich verkehren sieben bis acht Züge auf dieser Strecke."
Schwer kämpfen sich die betagten stählernen Zugpferde mit ihren Waggons auf der Meterspur bergauf. Insgesamt müssen sie fast 900Meter Höhenunterschied überwinden.
Das Schnaufen und Stampfen, gepaart mit dem monotonen Rattern der Räder, begeistert besonders männliche Reisende und natürlich Kinder, die trotz winterlicher Kälte auf den Plattformen an den Ausgängen der Wagen im Freien stehen. Drinnen ist es mollig warm. "Die Lok heizt mit ihrem Dampf den ganzen Zug", erläutert Baumgärtner.
Auf bestimmten Verbindungen lässt sich die winterliche Landschaft beim Glühwein im Büfettwagen betrachten. Auf 140 Kilometern können Touristen mit der Bahn auf mehreren miteinander verbundenen Strecken durch das Mittelgebirge fahren.
Für hartnäckige Bahn-Enthusiasten empfiehlt sich eine Reise von Quedlinburg zum Brocken. "Fünf Stunden dauert die Fahrt", sagt Baumgärtner. Die meisten Besucher lösen ihre Fahrkarten von Wernigerode zum Gipfel und sind auf den 34Kilometern fast zwei Stunden unterwegs.
Deutlich kürzer fährt die Fichtelbergbahn auf der 750-Millimeter-Spur die etwa 17 Kilometer von Cranzahl zum fast 900 Meter hoch gelegenen Kurort Oberwiesenthal nahe der tschechischen Grenze.
"Wegen der Höhenlage ist dies hier ein relativ schneesicheres Gebiet", sagt Diana Stöckel von der Bahnverwaltung in Annaberg-Buchholz. Sechs Zugpaare stehen täglich für die einstündige Fahrt im Einsatz.
Im Osten Sachsens dampft die Weißeritztalbahn von Freital-Hainsberg die 15 Kilometer nach Dippoldiswalde. "Seit der Wiedereröffnung im Dezember 2008 haben fast 200000 Fahrgäste die Bahn benutzt", erzählt Kati Schmidt von der Marketingabteilung. "Die Strecke ist eine Attraktion, sie führt in engen Bögen entlang des Flusses Rote Weißeritz", versichert Schmidt.
Tim Schröter weist auch auf andere Schmalspurbahnen hin, die im Winter regelmäßig nach Fahrplan verkehren und Dampfloks einsetzen: Es sind der Rasende Roland auf der Insel Rügen und die Molli zwischen Bad Doberan und Kühlungsborn an der Ostseeküste. "Außerdem gibt es die Lößnitzgrundbahn zwischen Radebeul und Radeburg vor den Toren Dresdens sowie die Zittauer Schmalspurbahn in die Kurorte Obyn und Jonsdorf."
In anderen Teilen Deutschlands dampft es in der kalten Jahreszeit ebenfalls auf den Schienen, nur nicht im Regelverkehr. Nach Schätzungen überlebten bis zu 230 Lokomotiven verschiedener Spurweiten und Baujahre den Abschied vom Dampfzeitalter. Ingrid Schütte vom Verband Deutscher Museums- und Touristikbahnen (VDMT) schätzt die Zahl der Museumsbahnen in ganz Deutschland auf etwa 200. In ihrem Verband sind 90 organisiert.
Eine der schönsten Gelegenheiten, das Abenteuer Winterwald per Dampflok zu erleben, verrät Holger Prochnau von den Harzer Schmalspurbahnen: "Man kann bei uns eine Mitfahrt auf dem Führerstand buchen und dann eine Stunde dem Lokführer und dem Heizer direkt und hautnah bei der Arbeit zusehen."