Lakkadiven: Im Schatten der Kokospalmen
Die 36 Inseln liegen knapp zwei Flugstunden von den Malediven entfernt – ein fast vergessenes Paradies.
Indien. Vor ein paar Wochen war Richard Gere hier. Er kam, um dem Mond beim Aufgehen und den Sternen beim Leuchten zuzusehen. Er spielte Robinson in Hütten, deren Wände aus geflochtenen Palmenmatten bestehen und deren Fenster aus nichts als Mückengitter sind: ohne Gage, ohne Regisseur, sogar ohne Kamera, nur für sich - und für die Frau, mit der er reiste.
War sie schön? "Of course!", erinnern sich die Einheimischen. "Natürlich war sie schön, ganz besonders sogar!" Ihren Namen weiß keiner mehr. Aber sympathisch seien beide gewesen, völlig unkompliziert, sehr relaxt.
Vielleicht liegt es auch daran, dass hier jeder entspannt ist: Weil es kaum ein anderes Geräusch als das Meeresrauschen gibt, nur manchmal das des Außenborders eines Dhoni, eines dieser breiten motorisierten Kanus. Ab und zu singt jemand, wenn er im Schatten der Kokospalmen zwischen Strand und Hütten entlang spaziert.
Es gibt keine Autos, keine Beschallung mit Durchsagen oder Musik vom Band, niemand hupt, keiner hetzt. Regeln setzt nur die Natur. In der Abenddämmerung zündet jedes Mal ein Schatten im weißen Gewand ein paar Kerzen in den Windlichtern am Weg an. Gut 1500 Meter misst diese Insel an ihrer längsten Stelle, gut 500 an der breitesten.
Etwa eine Stunde dauert es, sie bei Ebbe einmal am Strand entlang komplett zu umwandern. Spätestens vom zweiten Tag an ist die Uhr egal, gelten Stunden nichts mehr, gibt es nur noch Aufstehen und Schlafengehen und den Tag dazwischen.
Auf Bangaram ist die Zeit stehen-geblieben. In der Nachbarschaft ist das nicht anders - auf den 35 Inseln der Lakkadiven gut eineinhalb Flugstunden westlich der südindischen Festlandküste, eineinhalb nördlich der Malediven. "Bei uns ist es ungefähr so wie auf den Malediven vor dreißig Jahren", sagt Radhakrishna Shenoi, der auf Bangaram lebt.
Wer die besonders geschützte Inselgruppe bereisen will, braucht zusätzlich zum Indien-Visum einen Extra- Erlaubnis für die Lakkadiven, fliegt auf die Insel Agatti, muss dort für die Einreise-Prozedur auf Plastikstühlen in einer Ankunftsbaracke ein wenig ausharren. Danach geht es per Boot weiter.
Zwei Stunden bis Bangaram, mindestens doppelt so lange bis Kadmat. Nur neun dieser 36 Eilande sind dauerhaft bewohnt, bislang bloß drei für Ausländer freigegeben: Bangaram, Agatti und Kadmat mit ihren Robinson-Hotels - Inseln, die irgendwie außerhalb der Welt liegen.
Dabei stehen längst Investoren bereit, wollen demnächst auch die Eilande Suheli und Thinnakara mit Millionenaufwand erschließen und dort Luxushotels in den Kokoswald zimmern, die Gegenwart ins Inselreich holen.
Sie wollen Robinson und Freitag für ein paar Monate hinaus renovieren und die beiden zur Wiedereröffnung neu einkleiden. Noch aber wohnen auf diesen Inseln für ein paar Wochen im Jahr nomadisierende Fischer in einfachen Hütten am Strand. Sie ziehen mit den Thunfischschwärmen weiter.
Die Menschen ernähren sich aus dem Meer und von dem, was Palmen und winzige Gärten hergeben, trocknen zerlegte Oktopusse an Holzgestellen im Wind und wissen oft nicht, welches Jahr gerade läuft. Sie ahnen nicht, was anderswo in der Welt geschieht, waren nie auf dem Festland, das mehr als eine halbe Welt entfernt ist.
An diesem Abend zum Beispiel hockt ein Mann in Badehose in einem erdenen Zuber im Inselinneren von Bangaram, in einer mit dem Süßwasser aus dem kleinen Insel-See gefüllten Grube.
Er singt, winkt und schrubbt sich dort am Ende seines Arbeitstags in Sichtweite der hell erleuchteten kleinen Moschee: Ein turmloser Gebetsraum, in dem drei Teppiche ausgebreitet sind. Auf einer Insel mit nur einem Fernseher und ein paar Dutzend Hütten.
Einige davon werden an Fremde vermietet, die dem Ansturm vorausreisen, der eines Tages folgen wird. Es sind Leute, die ihren Luxus vor allem in der Abgeschiedenheit finden, im warmen Meer mit seinem türkisfarbenen Glanz, den Schnorchel- und Tauchgründen der Lagune und der Riffs draußen zwischen den Inseln. Leute, die nicht auf der Suche nach Marmorfußböden und golddurchwirkten Vorhängen sind, nicht nach Designer-Schick und Zimmerservice Ausschau halten.
Es zieht Millionäre aus den boomenden Business-Städten des Subkontinents ebenso hierher wie Leute aus Übersee, von denen manche auf diese Ferien lange sparen mussten und sich ansonsten rein gar nichts aus Geld machen. "Bollywood"-Stars waren hier - zuletzt Lara Dutta, deren Karriere vor neun Jahren als Miss Universe begann und an die sich, of course, ebenfalls alle noch sehr genau erinnern.
"Niemand", sagt Radhakrishna Shenoi, "muss hier Paparazzi fürchten. Entweder wissen sie nichts von unseren Inseln, von diesen Stecknadelköpfen, die aus dem Indischen Ozean ragen. Oder es ist ihnen einfach zu teuer, herzukommen."
Ob prominent oder nicht ist unter den Palmen von Bangaram sowieso egal. Es interessiert die anderen Gäste wenig und die Einheimischen rein gar nicht. Manchmal kommt es dann doch heraus - abends in der Bar bei einer aufgeschlagenen Kokosnuss oder einem Cocktail. "Du bist Hollywood-Star? Ist ja toll! Und du warst echt mal Miss Universe?" Da kann es jemand nicht fassen, was der nette Sitznachbar im richtigen Leben tut - und gleichzeitig ist es nicht der Rede wert.
Niemand fragt nach Autogrammen, alle sind irgendwie gleich. Es gibt keine Berührungsängste, keinen Kult, aber auch keine Verbrüderung. Morgens ein Bad im 27Grad warmen Ozean nehmen, mittags ein bisschen tauchen oder schnorcheln, abends unter Palmen gegrillten Red Snapper oder scharfes Fischcurry in Kokossoße essen und anschließend einen Drink an der rundum offenen Bar im Sand nehmen.
Der einzige Fernseher steht weit abseits im Quartier der Hotelangestellten, die die notwendigen Signale mit zwei riesigen Parabolspiegeln vom Himmel fischen, als horchten sie auf die Echos von E.T. aus den Tiefen des Alls.
Auch ihnen scheint die Flimmerkiste nicht allzu wichtig zu sein. An der Antennenspitze des einen Spiegels ist die Wäscheleine zur Palme gegenüber befestigt, und wenn dort die T-Shirts trocknen, ist gerade kein Empfang. Es gibt kein Internet-Café auf der Insel, kein Telefon in den Hotelzimmern.
Bangaram existiert außerhalb des Hier und Jetzt. Und dass neuerdings ein Sendemast für brauchbaren Handyempfang sorgt, muss man ja zuhause sicherheitshalber niemandem erzählen.
Es wäre zu schade, wenn ein Anrufer aus dem Alltag ein Freizeichen bekäme.