Höher, tiefer, weiter: Die extreme Lust am Reisen
Berlin (dpa) - Schauspieler Ashton Kutcher hat sich als Weltraumtourist angemeldet, extreme Urlaubserlebnisse sind begehrt. Freizeitforscher wundert das nicht: Was machbar und bezahlbar ist, wird ausgereizt.
Und eins bleibt wie es ist, die Deutschen sind Reiseweltmeister.
Tauchen mit Haien auf den Azoren oder Schlittenhund-Kurse in Alaska - solche Urlaubsextreme lassen sich heute bequem im Internet buchen. Sogar eine U-Boot-Fahrt zum Wrack der Titanic ist als Erlebnispaket bei deutschen Reiseveranstaltern im Angebot und kostet 50 000 Euro. Für den noch teureren Kurztrip ins All hat zwar noch kein eigens gebautes Touri-Shuttle abgehoben, aber es gibt bereits lange Anmeldelisten. Interessenten kommen auch aus Deutschland. Abenteuerurlaub statt Ballermann - sind die Deutschen als Reiseweltmeister nun auf dem Extremtrip?
Der Berliner Reiseforscher Hasso Spode nennt den Hang zum ausgefallenen Urlaubserlebnis „Narko-Kapitalismus“. Ein neues Phänomen ist es für ihn nicht. „Narko“ kommt von Narkose und steht für die Sehnsucht nach einem gewissen Kick. „Das können Drogen sein, aber eben auch ein Adrenalinschub auf Reisen“, erläutert Spode. Reiseveranstalter Thomas Cook habe schon um das Jahr 1900 Einbaumfahrten auf dem Amazonas angeboten. Da war die moderne Form des Tourismus kaum 50 Jahre alt.
Heute ist Abenteuertourismus vom Extremsport bis zum ausgefallenen Technik-Erlebnis eine Konstante auf dem deutschen Reisemarkt. Umfragen der Hamburger Stiftung für Zukunftsforschung ergaben, dass rund zehn Prozent der Bevölkerung Extrem-Urlaub machen - doppelt so viele Männer wie Frauen und zwanzigmal so viele junge Erwachsene wie Senioren über 65. Eine Grenze in dieser Nische setzt auch die Geldbörse. Die Deutschen lassen sich ihren Urlaub im Jahr pro Person im Schnitt 1000 Euro kosten. Extrem-Abenteuer sind oft teurer.
Die Idee vom Reisen um des Vergnügens Willen stammt aus der Epoche der Romantik zu Beginn des 19. Jahrhunderts. „Als die ersten Hotels und Kurorte entstanden, spaltete sich ein Teil der Reiselustigen ab. Denen war das zu langweilig“, erläutert Spode. Er datiert die Anfänge des Abenteuerurlaubs deshalb bereits auf das Ende des 19. Jahrhunderts. Tourismus als Abenteuer folge seitdem immer den technischen Möglichkeiten der Zeit, ergänzt der Wissenschaftler. Das geht rasant. Tourismus-Pionier Cook bot schon 1841 Eisenbahnfahrten an. „Irgendwann wird es Reisen zum Mars geben. Was möglich ist, wird durchgezogen“, ergänzt Spode.
Was sind Motive für Extremurlaub? Spätpubertäre Identitätssuche bei den Jüngeren und Langeweile bei gut betuchten Älteren, mutmaßt Spode. Vielleicht noch mehr. Als sich Ende Februar der süddeutsche Zahnarzt Jos Gal als erster Kunde eines neuen Weltraumflug-Anbieters präsentierte, ging es kaum um Mond und Sterne. Gal schwärmte davon, seinen Kindern später sagen zu können: Papa war der Erste. Spode erinnert das an Bergsteiger und ihren Traum vom ewigen Ruhm à la Edmund Hillary auf dem Mount Everest. Das Problem ist nur, dass die weißen Flecken auf der Erde rar geworden sind - und der Mount Everest ein Allerweltsgipfel. „Auch darum geht es in die Tiefe der Meere oder ins All“, resümiert Spode. „Das ist das Prinzip Hase und Igel.“
Freizeit- und Gesellschaftsforscher Ulrich Reinhardt, Leiter der Hamburger Stiftung für Zukunftsfragen, hat für Extremreisen weitere Erklärungen. „Urlaub bleibt in Deutschland die populärste Form des Glücks“, sagt er. Er solle zwei Dinge erfüllen: Erholung und Kontrast zum Alltag. Dazu komme ein gesellschaftlicher Wandel: „Wir identifizieren uns nur noch begrenzt über unsere Arbeit oder den Alltag, sondern über die Sachen, die wir in unserer Freizeit machen“, sagt er. Das Reiseerlebnis bekomme so ein ganz besonderes Gewicht - auch bei der Selbstdarstellung. „Vier Bücher in der Toscana zu lesen, reicht einfach nicht mehr“, sagt Reinhardt.
Was Internetportale heute unter Erlebnisreisen verstehen, erinnert allerdings oft an überwunden geglaubte Klischees. Für Männer wird Bagger-, Panzer- oder Ferrarifahren empfohlen, für Frauen ein Foto-Shooting oder ein Parfum-Workshop. Doch auch die fertig geschnürten Hardcore-Erlebnis-Pakete lassen Freizeitforscher Reinhardt schmunzeln. „Tauchen mit Haien, aber danach bitteschön ein Vier-Sterne-Hotel“, sagt er. „Entführ mich in eine Extremwelt, aber bring mich zum Abendbrot wieder nach Hause.“