Schottische Highlands: Die Einsamkeit der Hochheide
Kincraig (dpa/tmn) - Karge Berge mit tiefen Tälern, dunklen Wäldern und schwarz funkelnden Seen im Landesinneren, windumtoste Inseln an den Küsten, dazu ein unberechenbares Wetter. Die Highlands im Norden Schottlands sind eine Wildnis von rauer Schönheit.
Bewegungslos sitzt sie im Gebüsch und lugt aus gelb-grünen Augen zwischen den Blättern hervor: Die Wildkatze ist eine scheue Einzelgängerin und nur dort heimisch, wo sie weitgehend ihre Ruhe hat. In den knorrigen Kiefernwäldern der schottischen Highlands schleicht sie noch durch das Unterholz. Doch um das Raubtier in freier Wildbahn zu treffen, braucht es viel Glück. „Da ist es wahrscheinlicher einem Tiger in Sibirien zu begegnen“, sagt Douglas Richardson. „Von denen gibt es mehr.“
Der Arbeitsplatz des 53-jährigen Wildhüters liegt im Süden der Highlands, im Gebiet der Cairngorm Mountains, einer Landschaft geprägt von sattgrünen Tälern vor rauem Bergpanorama. Mit seinen 4528 Quadratkilometern ist dieses Naturschutzgebiet Großbritanniens größter Nationalpark. Hier ragen einige der höchsten Berge der britischen Insel in den Himmel.
Mit dem Bus sind es von Edinburgh knapp vier Stunden nach Kincraig, einem 500-Seelen-Dorf am Rande des Am Monadh Ruadh, des roten Gebirges, wie die Cairngorm Mountains auf Gälisch heißen. Je näher der Bus Kincraig kommt, desto weniger Fahrgäste werden es. „Kincraig? Was wollen Sie denn hier?“, fragt der Busfahrer scherzhaft einen Touristen beim Aussteigen.
Hinter dem Ort, in den dunkelgrünen Wäldern mit ihren schwarz-weiß gestreiften Birken und knorrigen Kiefern leben Auerhähne, Eichhörnchen und Rothirsche. Hier ist auch der Schottische Kreuzschnabel heimisch, eine ziegelrote Finkenart, die es nur in Schottland gibt. In den Mooren sind die Rufe der Schneehühner zu hören, in den zahlreichen Flüssen und Seen, den Lochs, jagen Otter und Fischadler. Doch nach Wildnis fühlt sich das alles trotzdem nicht an.
Statt Menschenleere ist hier das klassische Publikum eines Naherholungsgebiets anzutreffen: Jogger auf Waldpfaden, Familien, die vom Parkplatz zur nächsten Picknick-Gelegenheit wandern, und Herrchen, die ihre Hunde Gassi führen. Eine Idylle, das scheint die Cairngorm-Region zu sein. Doch die Wildnis, sie muss abseits des Speckgürtels aus idyllischen Dörfern wie Kincraig, abseits der Informationstafeln, Wanderwege und Parkplätze liegen.
Der Weg dorthin führt querfeldein über ungezählte Schafweiden. Zu Tausenden grasen die Tiere auf den Wiesen vor den Bergen. Dahinter zeigt sich ein Berghang, bedeckt mit großen Felsbrocken. Je höher es geht, desto karger wird die Szenerie, und plötzlich machen die Warnhinweise des Fremdenverkehrsamtes vor der unwirtlichen Bergwelt Sinn. Nur den eigenen Atem im Ohr, geht es bergauf. Ein paar verkrüppelte Kiefern krallen sich in den Berg, danach verwandelt sich die Landschaft in eine Art arktische Wildnis.
Die kahlen Berge scheinen sich wie aufgetürmte Wellen bis zum Horizont zu rollen. Nur das Heidekraut gedeiht hier und lässt die Hänge lila schimmern. Adler und andere Raubvögel ziehen über den Gipfeln ihre Kreise. „Meilen und Meilen lavendelfarbener Einsamkeit“, schrieb Virginia Woolf in ihr Notizbuch, als sie 1938 in den Highlands unterwegs war.
Kurze, kühle Sommer und lange Winter mit viel Schnee - das Klima in den Highlands hat die höher gelegenen Gebiete zu einer weiten, mit Flechten und Moos bedeckten Tundra geformt. „Das Wetter hier ist unberechenbar“, sagt Hotelbesitzer Mike Welding kopfschüttelnd. „In einem Moment scheint die Sonne, im anderen regnet es.“
Doch wenn nach einem Regenschauer plötzlich das Licht zwischen den Wolken hervorbricht und lange Schatten auf die Berge zaubert, zeigt sich der Reiz dieser Landschaft. Es ist eine spröde Schönheit, eine melancholische Wildnis.
„Ich habe nie Einsameres durchschritten“, schrieb der deutsche Schriftsteller Theodor Fontane über seine Reise von Perth nach Inverness 1858. Tatsächlich blieb keine Region in Großbritannien so lange unbekannt und unzugänglich wie die Highlands. „Noch um 1700 wusste man in London über die Highlands nicht mehr als über Abessinien oder Japan“, schreibt der Landeskenner Peter Sager in seinem Reisebuch „Schottland“.
Auch wenn die Highlands schon immer dünn besiedelt waren, so menschenleer wie heute waren sie nicht immer. Die verwitterten Steinruinen ehemaliger Häuser zeugen von einem dunklen Kapitel schottischer Geschichte. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts vertrieben die Großgrundbesitzer die Pächter und Kleinbauern aus den Highlands, um die Flächen für die Schafzucht nutzen zu können. Ganze Dörfer wurden so aufgelöst, ihre Bewohner wurden gezwungen, nach Nordamerika oder Australien auszuwandern.
Heute leben rund 80 Prozent der Bevölkerung in den Städten der Lowlands, im Süden Schottlands. Die Highlands bleiben ein karges, unwirtliches Land - und eines von bestechend wilder Schönheit.