Unterwegs im Tal der Schlösser
Im Dreiländereck von Polen, Tschechien und Deutschland werden Schlösser aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt.
Im 19. Jahrhundert entdeckte der Preußische Hochadel das Hirschberger Tal zu Füßen des imposanten Riesengebirges. Wer es sich leisten konnte, baute ein Schloss, eine Sommerresidenz. Gartenarchitekten wie Lennée und Pückler legten Parks an. Im Gefolge der Mächtigen entdeckten die Schönen und Reichen die liebliche Landschaft. Maler und Dichter der Romantik ließen sich vom Blick auf die 1602 Meter hohe Schneekoppe betören.
Der Zweite Weltkrieg setzte der Idylle ein Ende. Was die Rote Armee geplündert und verwüstet hatte, moderte mehr als vier Jahrzehnte vor sich hin. Die Besitzer waren enteignet, der Kommunismus hatte wenig Interesse und noch weniger Geld, die schlesischen Denkmäler zu pflegen. Was ein halbwegs intaktes Dach besaß, wurde als Kolchose, als Landarbeiter-Unterkunft, bestenfalls als Kinderheim genutzt.
Nach dem Fall des Eisernen Vorhanges wird das Dornröschen nun seit 20 Jahren wachgeküsst. Nachfahren früherer Besitzer und kunstsinnige Investoren erwerben im Dreiländereck zwischen Polen, Deutschland und Tschechien die Trümmer vom polnischen Staat, bauen Verfallenes wieder zu alter Schönheit auf und kultivieren das Land drumherum. Heute kann man als Gast dort wohnen: Im Umkreis von Hirschberg (Jelina Gora) gibt es inzwischen neun solcher individuellen Schloss-Hotels mit 20 bis 40 Zimmern.
Vorreiter war das Anwesen der Familie von Küster in Lomnitz (Lomnica). Carl Gustav Ernst von Küster, preußischer Gesandter am sizilianischen Hof, kaufte 1835 das frühbarocke Herrenhaus und das klassizistische Witwen-Schlösschen und ließ die dazu gehörenden Parks und Wiesen im englischen Landgarten-Stil gestalten.
Ulrich von Küster, Jahrgang 1963, dessen Vater noch dort aufgewachsen war, ersteigerte 1991 die Ruinen von Lomnitz. Der Park war verwildert, Bäume wuchsen aus den Fensterhöhlen. Mit finanzieller Hilfe der Verwandtschaft und eines polnischen Freundes wurde Küster der erste Deutsche, der ein solches Kleinod zurückkaufen konnte.
Der Jurist Küster bekam eine Stelle im 70 Kilometer entfernten Görlitz. Seine zukünftige Ehefrau Elisabeth von Ebner-Eschenbach hatte als Kind ihren Eltern und Großeltern über die Schultern geschaut, die als Restauratoren in Potsdam-Sanssouci tätig waren. Die Küsters haben mittlerweile fünf Kinder, Elisabeth ist mit Leib und Seele Hoteliersfrau und Restauratorin, Ulrich ist Richter in Görlitz.
Neben Hotel und Restaurant im kleinen Schlösschen haben die Küsters auch die zum Großen Schloss gehörigen Wirtschaftsgebäude zu kleinen Lädchen, einer schlesischen Bäckerei, zu Pferdeställen mit Schmiede und zu einem zweiten Restaurant gestaltet. Vom kommenden Herbst an ist das Schloss als Museum zu besichtigen.
Echt Stonsdorfer — das war bis zum Krieg ein schlesischer Kräuterlikör aus dem gleichnamigen Städtchen (polnisch Staniszow). Die „Stonsdorferei“ ist Geschichte, das Original-Getränk wird in Schleswig-Holstein hergestellt. Der Name des Ortes steht heute für ein außergewöhnliches Hotel in historischem Gemäuer. Waclaw Dzida hat Gastronomie studiert, seine Ehefrau Agata Rome-Dzida ist Kunsthistorikerin. „Als wir 2001 Schloss Stonsdorf entdeckten, war es in einem erbärmlichen Zustand. Es herrschte Arbeitslosigkeit, niemand hatte Geld, und an Mittel von der EU war nicht zu denken“, erinnert sich der Schlossherr. „Die Kommune war froh, als wir den Komplex kauften.“
Die Dzidas studierten Aufzeichnungen der alten Besitzer. So entstand eine Vorstellung, wie vor 250 Jahren die Prinzen von Reuß gelebt hatten. Überall in der Umgebung kauften die Dzidas alte Sandsteine und Holzdielen auf, befreiten noch brauchbares Parkett von hässlichem Ölfarbe-Überzug. Die Zimmer wurden mit alten Schätzchen ausgestattet. Ein Kupferdach hatte das Gemäuer vor dem Schlimmsten bewahrt — im Juni 2002 zogen die ersten Gäste ein. Heute hat das Hotel 43 Doppelzimmer, ein ausgezeichnetes Restaurant und ein Schwimmbad. Die Treppen knarren noch wie damals. Ansonsten ist es traumhaft ruhig im grünen Rübezahl-Land, wie vor 200 Jahren.
Ein Arzt-Ehepaar aus dem Saarland, Ingrid und Hagen Hartmann, hat sich in Wernersdorf (Pakoszow) einen lang gehegten Traum verwirklicht. Der kleine Hagen war vier Jahre alt, als er mit seinen Eltern aus Breslau fliehen musste. Seine Großmutter war die letzte Besitzerin des Barockschlosses Wernersdorf, in dem zu besten Zeiten 300 fleißige Handwerker aus Flachs den auf der ganzen wohlhabenden Welt begehrte Schleierleinen herstellten.
Hagen Hartmann zog es zurück zum alten Mittelpunkt seiner Familie, Ehefrau Ingrid sah gleich die Substanz, die das Schloss mit seinem einst prachtvollen Ballsaal bot: Ein Hotel der Luxusklasse sollte es werden, „eines, in dem wir uns auch selbst wohlfühlen können.“ Das ist gelungen. Wertvolle antike Ausstattung und helles, gediegenes Jetztzeit-Design ergänzen sich ideal. Was noch erhalten war aus der Zeit, als dort Europas Hochadel seine Feste feierte, ist von polnischen Restaurateuren wieder herausgearbeitet worden. Auf einem alten Sessel aus dem 18. Jahrhundert soll sogar der Alte Fritz gesessen haben.
Der Autor reiste mit Unterstützung des Polnischen Fremdenverkehrsamtes.