Sauer macht lustig: Zu Besuch beim Essigdoktor in der Pfalz
Venningen (dpa/tmn) - Lange Zeit ernteten sie nur Kopfschütteln: Einige Winzer in der Pfalz vergären die besten Weine zu Essig. Mittlerweile zählt sogar der saudische König zu den Kunden. Bei Verkostungen müssen Besucher in besondere Gewänder schlüpfen.
Sobald die Ernte eingebracht ist, wird es still in der Pfalz. Für Georg Wiedemann beginnt dann jedoch erst die Arbeit. Er erntet seine Trauben, wenn sie schon fast Rosinen sind. Im Keller wird aus ihnen Essig, der mittlerweile Weltruhm genießt. Gourmetköche kaufen bei ihm ein. Selbst das schwedische Königshaus und der saudische König gehören zu den Kunden von Wiedemanns Doktorenhof in Venningen. Der saudische König ließ sich den Essig für Rosskuren schicken und war begeistert. Er hilft den Pferden bei der Verdauung des harten Büffelgrases.
Bereits Wiedemanns Großvater fand heraus, dass Essig nicht nur ein Würz-, sondern auch ein Arzneimittel ist. Er sammelte alte Rezepte und bewahrte jedes Buch auf. Wiedemann fischt aus dem Regal einen uralten Wälzer und schlägt einige Seiten auf. Dann hat er es gefunden: Bereits Pfarrer Kneipp benutzte mit Essig getränkte Wickel als Heilmittel. Alexander der Große ließ seine Soldaten Essig trinken, zur Abwehr von Darmkrankheiten.
Mit Besuchern steigt Wiedemann gerne in seinen Keller hinab. Dazu werden sie in braune lange Gewänder mit Kapuze gehüllt - um die Essigbakterien ja nicht zu beeinträchtigen. Im halbdunklen Gewölbe des Kellers fühlt man sich wie im Mittelalter. Leise ertönt gregorianischer Chorgesang. Kerzen brennen auf den Holzfässern, in denen der Essig reift. Es riecht nach vergorenem Wein und Kräutern. „Hier unten ist die reinste Luft“, sagt der Essigmann. Natürlich dürfen die Besucher die Essige auch probieren. Süß und herzhaft schmecken sie, manchmal haben sie einen sauren Nachgeschmack.
Die bernsteinfarbene Flüssigkeit glitzert im edlen Kelch. „Man muss die Zunge benetzen, dann fließt der Essig um die Zungenspitze in den Gaumen“, erklärt Wiedemann. Er wirft seinen Pferdeschwanz nach hinten, blinzelt lustig mit den Augen und hebt vorsichtig das Glas. Vordergründig schmeckt der Essig frisch nach Orangen, dahinter etwas schwerer, nach Lavendel. Nur für eines tauge Essig überhaupt nicht, sagt er und streicht sich über die lichte Stirn: „als Haarwuchsmittel.“
Doch nicht nur Wiedemann hat sich in der Pfalz dem Essig verschrieben. Die Fachwerkhäuser in Gleiszellen sind von gelben und roten Reben umrankt. Bekannt ist das Dorf für seinen Muskateller. Die dicken Stöcke gedeihen in den Talmulden auf den schweren, kalkhaltigen Böden prächtig.
Die Winzerfamilie Wissing pflegt die Rebsorte seit Generationen auf dem 20 Hektar großen Weinberg. „Unsere Beharrlichkeit hat sich gelohnt, denn Muskateller-Weine nehmen wieder Spitzenplätze ein“, sagt Heinz Wissing. Während der Winzer sich um den Wein kümmert, hat es Tochter Sabine der Muskateller Weinessig angetan. Entweder blumig und mild oder mit Kräutern gewürzt kommen die Essige in den Verkauf. Auch Dornfelder Rotweinessig stellt sie her.
Auch in Neustadt-Diedesfeld gären Essige. Die Firma Zeter stellt neben Essig aus Getreide und Kartoffeln auch Weinessig her. Thymian und Estragon werden von Richard Stattmüller noch mit der Hand gepflückt und dienen als Grundstoff für die feinen Flüssigkeiten. Trotz moderner Technik sorgt der Essigmeister persönlich dafür, dass genug Sauerstoff in den Holzbottichen den Alkohol in Essigsäure verwandelt.