Urlaub vom Gehirn in Eschwege: Das Festival Open Flair
Eschwege (dpa/tmn)- Die wilde Nacht hat die Feierwütigen wieder freigegeben. Sie entspannen jetzt auf Campingstühlen. Es ist morgens oder mittags, auf jeden Fall aber staubtrocken und heiß. Nach dem ersten Kaffee, der nichts bringt, fließt wieder das erquickende Eschweger Klosterbräu aus mitgebrachten Zapfanlagen.
„Ist halt eine Woche Urlaub vom Gehirn“. Das sagt Eike Paterok aus Hannover. Diese Szenerie klingt nach einem gewöhnlichen Festival - und doch ist vieles anders. Denn das Festival Open Flair, das hier umgeben von der weiten Bergkulisse des Werratals stattfindet, ist einzigartig.
Das Open Flair gibt es seit mehr als 30 Jahren. Geboren wurde die Idee dahinter im Jugendzentrum Eschwege. „Wir wollten die Provinz bunt und lebendig machen“, erzählt Geschäftsführer Alexander Feiertag. Damals war er 19. „Neben Musik wollten wir auch andere Facetten wie Kleinkunst integrieren.“
Ein Reißverschluss geht auf, und Janina Laudien und ihr Freund Fabian Voß aus Dortmund kriechen etwas zerknittert aus ihrem Zelt. Dann wird über das Programm gebrütet. „Mir ist die Musik wichtig“, sagt Janina. Auf dem Open Flair gibt es auch Poetry, Kleinkunst und Comedy. „Das ist schön, man kann sich hier auch anders die Zeit vertreiben.“
„Ach guck mal, wir sind auf eine Hochzeit eingeladen“, stellt Janina fest. Sie hält einen Zettel inder Hand. Lina und Daniel - wer immer sie sein mögen - laden um 16.00 Uhr auf dem Zeltplatz zu ihrer Trauung ein. Der Trupp beschließt, sich in der Stadt zu stärken.
Das ist das Zauberhafte an diesem Festival: Auch die Eschweger Altstadt mit ihren kopfsteingepflasterten Gassen und den mehr als 1000 Jahre alten Fachwerkbauten ist neben dem Hauptgelände mit Insel und Seebühne ein Tummelplatz für die Festivalgänger.
„Es ist schön zu sehen, wie in einer verschlafenen Kleinstadt in der nordhessischen Provinz einmal im Jahr plötzlich bunte Atmosphäre herrscht“, sagt Tobias Staufenberg. Der 32-Jährige ist in Eschwegeaufgewachsen und besucht das Open Flair jedes Jahr - seitdem er 16 ist. Jeder nimmt ein paar Freunde mit, sie alle kommen wieder, und so ist „das Lager“, wie er sagt, stets gewachsen.
Es ist kurz vor 16.00 Uhr. Wo ist nun diese Hochzeit? Es ist fast unerträglich heiß. Unter einem weißen Pavillon ringt das gesuchte Brautpaar mit dem scheinbar neuen Eheglück. „Wir sind nur Freunde, aber die einen denken wir, sind Geschwister, die anderen, wir sind ein Paar, also haben wir beschlossen zu heiraten“, erzählt Lina Knoth. „Wir wollten alle einladen - einfach, weil's geil ist“, erzählt der frische Bräutigam Daniel Börner. Diese Feststellung scheint auf dem Open Flair Erklärung genug zu sein.
Lina und Daniel sind davon überzeugt, dass ein Festival mehr ist als Musik. Es gehe um die Menschen, die es bevölkern. Und die machen das Open Flair besonders. Überall werden Freundschaften geschlossen, so als wäre das Teil des offiziellen Programms. Von Bierleichen oder Schlägereien keine Spur. Ungewöhnlich, denn immerhin reisen rund 20 000 Menschen zum Open Flair. Das ist die Einwohnerzahl Eschweges.