Klassik Eine Berliner Bruckner-Premiere, die begeistert
BERLIN · Erstmals dirigiert Kirill Petrenko Bruckner bei seinen Berliner Philharmonikern – und dabei ausgerechnet die schwierige „Fünfte“. Zuvor wurde dem Ende Juli verstorbenen Wolfgang Rihm gedacht.
Geradezu katholisch geht das Musikfest Berlin in der Philharmonie heute zu Ende – der Rias Kammerchor und die Akademie für Alte Musik Berlin bieten die d-Moll Messe und kleinere geistliche Vokalwerke von Anton Bruckner. Bruckner (1824-96) stand, natürlich, im September wird sein 100. Geburtstag gefeiert, in der letzten Festwoche ganz im Mittelpunkt in Berlin, so gastierten die Wiener Philharmoniker unter Christian Thielemann beim großen Konkurrenten an der Spree mit der selten gespielten ersten Symphonie. Vor allem aber dirigierte Kirill Petrenko, seit fünf Jahren Chef der Berliner Philharmoniker, erstmals Bruckner mit seinem Orchester.
Mit der 5. Symphonie (B-Dur) nahm der Russe sich die wohl heikelste Symphonie des Meisters vor, ein ebenso hochintellektuelles wie hochemotionales und eigentlich auch abendfüllendes Stück. Weil aber Ende Juli der den Berliner Philharmonikern seit Jahrzehnten eng verbundene Komponist Wolfgang Rihm mit 72 Jahren gestorben war, begann das Konzert mit dessen 1995 entstandenem Werk „In-Schrift“, zu dem der Markusdom in Venedig Rihm inspiriert hat. Die Klänge ertönen hier wie Schriftzeichen, Rihm selbst sagte: „In den Klang eingeschriebene, spruchartige Linien.“ Die verschiedenen musikalischen Gestalten vom einsamen Glockensignal bis zum gregorianisch anmutenden Choral werden gebildet von einem kleinen Orchester, bestehend lediglich aus tiefen Streichern (Celli, Bässe), Holz- und Blechbläsern, fünf Schlagzeugern und einer Harfe. Die Philharmoniker freilich erschaffen mit ihrem legendären „Wumm“ auch in Spar-Besetzung beeindruckend dunkle, schroffe und kraftvolle Klangskulpturen.
Die Philharmoniker brillieren – auch ohne akustischen Weihrauch
Womit wir zurück bei Anton Bruckner wären: Dessen Symphonien gelten gerne ja auch als tönende Kathedralen wegen ihrer gewaltigen Klangarchitektur – und natürlich auch, weil Bruckner ein gläubiger Christ und begnadeter Kirchenorganist war. Seit jeher hat das Dirigenten manchmal dazu verleitet, seine Musik ganz besonders weihevoll klingen zu lassen. Die Berliner Philharmoniker haben die „Fünfte“ zuletzt vor drei Jahren unter dem mittlerweile 97-jährigen Herbert Blomstedt gespielt. Und damals hatte der schwedische Grand Seigneur schon vor der ersten Probe erklärt, dass er eines nicht produzieren wolle: „akustischen Weihrauch“.
In diesem Geiste ging nun auch Kirill Petrenko Bruckner an. Dass er zum Auftakt dabei ausgerechnet die vertrackte B-Dur-Symphonie wählte, war nicht ohne Risiko. Der an sich so bescheidene Bruckner nannte sie nicht umsonst sein „kontrapunktisches Meisterstück“, verschwieg aber auch nicht die enorme Anstrengung beim Komponieren: „Nicht um 1000 Gulden möchte ich das nochmals schreiben.“ Solcherlei Mühen bleiben auch dem geübten Zuhörer nicht ganz erspart, selbst wenn diese Musik in Bestform spielende Weltklassemusiker wie die Berliner Philharmoniker darbieten.
Wie gesagt, Petrenko geht Bruckner weniger weihevoll als analytisch, aber nie unterkühlt an. Seine Tempi sind zügig, vor allem das Scherzo rast hochvirtuos durch die ausverkaufte Philharmonie, nicht mal 75 Minuten braucht er für die vier Sätze. Dabei befeuert er die Philharmoniker immer wieder mal und fordert an einigen Stellen eine Portion Extra-Intensität ein, bevorzugt von den zweiten Geigen. Verliert aber dabei nie das große Ganze dieses Werkes aus dem Blick.
Am Ende: stürmischer Beifall. Eine Premiere mithin für Petrenko und seine Philharmoniker, die Lust auf mehr Berliner Bruckner macht.