Mein Soundtrack für den Sommer Pixies und der Verstand blieb in Las Vegas
„Where is my mind?“, fragten die Pixies schon 1988 in einem Lied, das erst 1999 mit dem Film „Fight Club“ Kultstatus erlangte. Eine perfekte Untermalung für die Fahrt durch die USA.
Wuppertal. Im September 2010 landete ich in San Francisco, in meinem Koffer nichts weiter als eine selbstgebrannte Rock-CD. Ehrlicherweise hatte ich auch Kleidung und eine Zahnbürste dabei, aber wäre mein Gepäck auf dem Flug verlorengegangen, hätte ich zuallererst um diese CD getrauert. Auf dem Tonträger war schließlich der Soundtrack für meine erste USA-Rundreise verewigt. Die musikalische Untermalung zu Golden Gate Bridge, Santa-Monica-Beach und Hollywood sollte man nicht dem Zufall überlassen.
Sicher gibt es Zeitgenossen, die ihre Wildecker-Herzbuben-CDs mit ins Death Valley nehmen. Für mich und meinen alten Schulfreund waren allerdings auf den endlosen Straßen der Westküste elektrische Gitarren alternativlos. Green Day, Rise Against, Bad Religion, Lagwagon oder Ignite hießen die Künstler, die jeden Tag im CD-Spieler rotierten. Sie waren alle deutlich wütender als wir, aber wir mochten ihre beflügelnde Energie.
Doch schnell kristallisierte sich heraus, welches das maßgebliche Lied der Reise werden sollte. „Where is my mind“ von den Pixies, eigentlich ein Exot auf der CD, hypnotisierte uns mit jedem Tag zunehmend. Das geisterähnliche Heulen zu Beginn des Songs untermalte die Fahrt an der Westküste perfekt, wo der Küstennebel immer wieder die Landzungen verschluckt.
In Las Vegas wurden wir dann verschluckt. Von dieser aufgekratzten Stadt, in der die Lichterkette aus Spielautomaten niemals erlischt. Nach drei Tagen rund um die Uhr Beschallung, Glücksspiel und frittierten Keksen geisterten ununterbrochen die Pixies durch unseren Kopf. „Where is my mind? — Wo ist mein Verstand?“, eine Frage, die sich zwangsläufig irgendwann einmal in Las Vegas stellt.
Wer den Songtext mitsingt, fühlt sich bereits ganz schön gaga. Sänger Black Francis berichtet davon, wie er einen Kopfstand macht und sein leerer Kopf in sich zusammenbricht. In der zweiten Strophe schwimmt er in der Karibik und spricht mit den Fischen. Hinzu kommt, dass Francis den Text in seiner Rolle als Irrer teilweise so undeutlich ins Mikrofon schwafelt, dass Fans jahrelang über eine bestimmte Textzeile diskutierten, denn bei der Veröffentlichung 1988 auf dem Pixies-Debütalbum „Surfer Rosa“ lag kein Textbüchlein bei.
Da der Song nicht einmal eine Single-Auskoppelung war, erhielt er seinen Kultstatus erst spät. Entscheidend dafür ist die prominente Verwendung im Finale des 1999er David-Fincher-Films „Fight Club“ mit Brad Pitt und Edward Norton. Danach bekommt die Popkultur nicht mehr genug von dem Stück. Es dudelt, teils in Coverversionen, durch zahlreiche Filme und Serien, meist dann, wenn die Hauptfiguren in den Wahnsinn abgleiten. Zuletzt setzten die aktuellen US-Serien „Mr. Robot“ und „The Leftovers“ das Lied in gecoverten Versionen kunst- und eindrucksvoll ein.
Ob die Pixies selbst den Verstand verloren haben, fragen sich 1993 die Fans, nach der vorübergehenden Band-Auflösung zum genau falschen Zeitpunkt. Während die alternativen Rocker aus Boston die Musikbühne verlassen, ist der musikalisch verwandte Grunge in aller Ohren. Später nennen Bands wie Nirvana, Radiohead und Weezer die Pixies als musikalischen Einfluss. Kurt Cobain sagt sogar in einem Rolling-Stones-Interview, „Smells like teen spirit“ sei der Versuch gewesen, ein Pixies-Lied zu schreiben. Kein Wunder, dass die sagenumwobene Band nach ihrer Wiedervereinigung im Jahr 2003 als Stars der Szene zurückkehren und durch ausverkaufte Konzerthallen touren.
Ich war nie auf einem ihrer Konzerte. Trotzdem werde ich mit dem Psycho-Sound immer eindrucksvolle Erinnerungen verbinden. Wie als wir endlich dem Las-Vegas-Wahnsinn entflohen waren. Vor dem schimmernden Wasser des nahen Lake Mead hörten wir noch einmal das eingängige Riff von Joey Santiago, bevor wir den Motor abstellten und in die absolute Ruhe der Wüstenlandschaft eintauchten.