„Der Rhetoriker erkennt die faulen Tricks“
Die WZ beginnt heute die neue Serie „Kunst der Rede“. Sandra Lichtenau von der ASG sagt, warum sie den Alltag leichter macht.
Düsseldorf. Immer mehr Menschen haben in den vergangenen zehn Jahren Kurse belegt, um die Redekunst zu erlernen. Das klingt schwer nach einem exklusiven Freizeitvergnügen für gelangweilte Intellektuelle, wird tatsächlich jedoch von einer breiten Mehrheit nachgefragt.
Männer wie Frauen, schüchterne Typen und Manager sitzen in Seminaren mit Namen wie „Argumentieren unter Stress“, „Kommunikation in schwierigen beruflichen Situationen“ und „Flirten mit Selbstbewusstsein“. Unter der Überschrift Hilfen zur Lebensführung könnte man solche Angebote sicher auch zusammenfassen. Was das dann noch mit der Redekunst der alten Griechen zu tun hat, erklärt die WZ in der neuen Serie „Die Kunst der Rede“.
Frau Lichtenau, Rhetorik klingt abgehoben. Warum studiert man ein solches Fach?
Sandra Lichtenau: Ich habe einmal miterlebt, wie jemand eine Gruppe Betrunkener souverän nur mit Hilfe seiner Redekunst beschwichtigte. Das hat mir imponiert. Als ich ihn fragte, woher er den Mut nahm, sich einzumischen, sagte er mir, er glaube an die Macht der Worte. Er habe Rhetorik studiert. Ich bin dann ebenfalls nach Tübingen gegangen, um dort Allgemeine Rhetorik und Philosophie zu studieren. Das habe ich nie bereut.
Sie arbeiten seit 10 Jahren als Dozentin. Was bringen Sie den Menschen bei?
Lichtenau: Diejenigen Aspekte der Rhetorik, die helfen, sich im Leben zu orientieren. Die freie Rede etwa, mit Konflikten umzugehen, in Gesprächen zu überzeugen. Im Grunde lernen die Teilnehmer vor allem, sich der Verantwortung jedes eigenen Auftretens bewusst zu werden, sich auf ihr Gegenüber zu konzentrieren, ihr Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. In der Hektik heute passiert das leicht. Nur ein kleines Beispiel: Wenn ich mir überlege, ob wir lieber Pizza oder Eis essen sollten, genügt es nicht, mit Ihnen ausschließlich über Eissorten zu reden … Sie sehen, Rhetorik ist gar nicht abgehoben, sondern versteht sich als praxisorientierte Wissenschaft. Und nur, weil man Sprache verwendet, weiß man noch längst nicht, mit ihr umzugehen.
Und die dazu notwendigen Tricks erfahren die Kursteilnehmer von Ihnen?
Lichtenau: Nein, wir vermitteln ja nicht den Missbrauch der Sprache. Der ideale Redner will nicht überreden sondern überzeugen; also zum selber Abwägen und Nachdenken anregen. Die Teilnehmer lernen also vielmehr, eigene Strategien logisch aufzubauen und, damit einhergehend, faule Tricks zu erkennen.
Das heißt, wer die Redekunst beherrschen möchte, geht eine moralische Verpflichtung ein.
Lichtenau: Aus klassischer Rhetoriksicht ja. Ein guter Redner muss ein Wertebild verfolgen. Er kommt nur zum Ziel, wenn er sich selbst, die Welt und die anderen Menschen anerkennt.
Beim ASG Bildungsforum sind Sie für den Bereich Kommunikation und Persönlichkeit verantwortlich. Wie werden diese ethischen Aspekte in neuen Angeboten fokussiert?
Lichtenau: Werteorientiertheit und Nachhaltigkeit stehen heute ja wieder vermehrt im Fokus. Wir bereiten z. B. gerade Kurse vor, welche die traditionelle Streitkultur und das Debattieren pflegen. Zudem bieten wir ab dem nächsten Semester eine werteorientierte Managerausbildung an.
In anderen Bereichen fehlt dieses Rüstzeug. Politiker zum Beispiel reden gern andere in Grund und Boden. Sie haben vermutlich keine Rhetorikkurse besucht.
Lichtenau: Manche bestimmt. Für die Glaubwürdigkeit kommt es jedoch sehr auf eine richtige Mischung aus allen wissenschaftlichen Rhetorikbestandteilen an. Und ebenso auf die angemessene Umsetzung des Gelernten. Wiederholt z.B. ein Politiker häufig dieselbe Geste, so wirkt dies aufgesetzt und nicht authentisch.
Wie sieht denn die richtige Mischung aus?
Lichtenau: Seit über 2000 Jahren ist den Aufgaben des Redners: movere, docere und delectare, also dem Bewegen, Belehren und Erfreuen des Publikums, nichts hinzuzufügen. Diese drei Faktoren, in der angemessenen Gewichtung, braucht es, um Zuhörer zu gewinnen. An diese Grundaufgaben jedes Redners hat sich in den Jahrtausenden nichts geändert.
Welche Rollen spielen dabei die großen und die kleinen Gesten?
Lichtenau: Mimik und Gestik sind wichtige Bestandteile der praktischen Rhetorik, müssen aber unbedingt authentisch sein. Eingeübte Gesten, die mit dem Redner selbst nichts zu tun haben, sind langweilig und oft auch leicht als aufgesetzt zu entlarven. Das erkennen schon die Teilnehmer meiner Einführungskurse. Kulturelle Unterschiede müssen dabei übrigens ebenfalls berücksichtigt werden. In Deutschland etwa wird selten über Hüfte und Schulter hinaus gestikuliert, in Italien hingegen können Gesten auch schon mal ausladender und dennoch angemessen sein.
Hört sich nach einer umfassenden Angelegenheit an, fast nach einer werteorientierten Lebenseinstellung / Philosophie.
Lichtenau: Das ist die traditionelle, klassische Rhetoriklehre auch. Daher würde ich es begrüßen, wenn sie in Deutschland bald nicht mehr vergleichsweise stiefmütterlich behandelt würde.