Kirchen in NRW Die versteckte Kirche Herz-Jesu in Bockum
Die katholische Kirche ist so schlicht, dass sie an eine evangelische erinnert. Architekt August Schumacher bewies 1929 visionären Mut: Er präsentierte in seinem Entwurf einen Kirchenbau, der sich am Stil der „Neuen Sachlichkeit“ orientierte — und überzeugte damit die Entscheider.
Krefeld. Nahezu versteckt liegt die katholische Herz-Jesu-Kirche an der Friedrich-Ebert-Straße 156 in Bockum. Ihre Geschichte gliedert sich in zwei Teile. Der Zweite Weltkrieg setzt eine scharfe Zäsur. Im Januar 1929 schreibt die Erzdiözese Köln einen Architekturwettbewerb aus. 199 Entwürfe werden eingereicht und den Krefelder Bürgern in einer Ausstellung im Kaiser-Wilhelm-Museum vorgestellt. „Die meisten Architekten verfolgten in ihren Plänen das Schema einer neugotischen Kirche“, sagt Karl-Heinz Teut, der 34 Jahre lang als Pfarrer für Herz-Jesu tätig war. „Die Neuinterpretation historischer Baustile entsprach dem Standard der damaligen Zeit.“
Nur ein Architekt beweist visionären Mut: August Schumacher (1896—1960) präsentiert einen gänzlich anderen Entwurf. Sein Kirchenbau orientiert sich am Stil der „Neuen Sachlichkeit“ — die Bauhausarchitektur überzeugt das elfköpfige Preisgericht. Der Architekt aus Wuppertal Elberfeld erhält den Auftrag für Krefelds ersten modernen Kirchenbau. Im Jahr 1930 wird ein kubischer Stahlskelettbau errichtet, wie er bislang nur im Industriebau üblich war. Das Gotteshaus wächst zu einem rechteckigen, schlichten Kasten heran, dem auch die rote Klinkerverblendung mit ihrer Reliefausbildung als dekoratives Element nichts von seiner kargen Nüchternheit nimmt.
Herz-Jesu unterscheidet sich von traditionellen Sakralbauten. Ihre Architektur besticht durch klare Gliederung und ausgewogene Proportionen. Das Hauptschiff weist bei einer Höhe von zwölf Metern die Maße 16 mal 37 Meter auf und endet in einem hochgelegenen Chorraum. An die Apsis schließen sich weitere, kleinere Kuben an, südlich fügt sich ein niedriges Seitenschiff als Werktagskirche an. 21 hohe, schlanke Rundbogenfenster gliedern die langgestreckte Fassade. „Die gesamte Baumaßnahme hat mit Pfarrhaus, Kaplanei, Platz, Turmfundament, Wettbewerb und Gebühren 351 112,95 D-Mark gekostet“, sagt Denkmalpfleger Gerhard Hanisch.
Am 5. Juli 1931 findet die feierliche Weihe statt. Am 22. September 1935 wird Herz-Jesu eine eigenständige Pfarre und Albert Eich ihr erster Pastor. Der Originalzustand bleibt nicht lange erhalten. Trotz ihrer stabilen Bauweise wird die Kirche bei einem Luftminenangriff am Morgen des 18. Dezembers 1944 schwer beschädigt. Die Nordwand stürzt auf einer Länge von 30 Metern ein, reißt Dach, Decke und Fußboden mit sich. An Hand der ursprünglichen Pläne erfolgt der Wiederaufbau in den Jahren 1949 bis 1953.
Als erstes ist das Untergeschoss fertig und Kirchenbauverein und Vorstand setzen sich für seine Nutzung als Notkirche ein. Die Krefelder Eisenbaufirma Theißen, sie hatte das Stahlskelett bereits 1930 gebaut, erhält den Auftrag, die 33 Tonnen schwere Konstruktion erneut aufzurichten. Vorrang haben die dringendsten Erhaltungsarbeiten, Chor und Decke werden in einem zweiten Bauabschnitt fertiggestellt, am 20. Dezember 1953 ist Herz Jesu wieder aufgebaut — nicht zuletzt dank der großen Opferbereitschaft der Gläubigen aus der Bockumer Pfarrei.
Die bleiverglasten Fenster spielen mit dem einfallenden Licht in bunten Farben und lassen den Kirchenraum trotz der dunklen Kassettendecke hell erstrahlen. Das weiße Holzkreuz an der Wand hinter dem Hochaltar, der der Zerstörung wie durch ein Wunder standhielt, zieht unverändert die Blicke auf sich. Ohne Tabernakel und Ewiges Licht wähnt man sich fast in einer evangelischen Kirche, so schlicht ist alles gehalten.
1975 kam im Rahmen einer Renovierung und als Antwort auf die Liturgier-Reform des 2. Vatikanischen Konzils ein Zelebrationsaltar in der Mitte des Kirchenraums hinzu. „Man hat den Altar nach vorne geholt, um den Charakter der Gemeinschaft zu betonen,“ sagt Pastor Karlheinz Alders. „Vorher stand der Priester mit dem Rücken zum Volk.“ Auf dem Boden liegen Solnhofener Platten. Der Naturstein verleiht der Saalkirche ihre ästhetische Weiträumigkeit. Im März 1957 wird die bildliche Darstellung des Kreuzwegs — 14 Holzschnitte unter der Orgelbühne — durch 70 Zentimeter hohe Stationsbilder unter den Fenstern ersetzt. Die in den Putz eingelassene, keramische Mosaikarbeit stammt von dem Glasmaler Johannes Richstätter (1913-1996). Das Kreuz, das Jesus zu tragen hat, ist nie gleich, es verändert seine Position von Station zu Station. „Richstätter behandelt die Leidensgeschichte formstreng und schlicht. Das ist dem sakralen Raum angemessen“, erklärt Pastor Alders.
Die stattliche, 32 klingende Register umfassende Orgel mit 2122 leistungsstarken Pfeifen liefert die Orgelbauanstalt Johannes Klais aus Bonn, von ihr stammt ebenfalls die Orgel im Kölner Dom. Das Fundament für die als Campanile separat stehende Turmanlage war von Anfang an gelegt, aber der Kirchturm kann aus Kostengründen erst 36 Jahre nach dem ersten Spatenstich erstellt werden. 1966 läuten die Glocken erstmals aus luftigen 32 Metern Höhe. Erst in der Einheit mit dem Turm bietet die Kirche Herz-Jesu das Bild, das August Schumacher bei seiner Planung anstrebte, ausgeführt haben es die Architekten Fritz Dohmen und Franz Gotzen.
Der Wiederaufbau ist vollendet. Seit 1999 steht die Kirche Herz-Jesu unter Denkmalschutz. Ein Jahr später wurde sie eine von fünf Gemeinden der Pfarrei St. Christophorus im Krefelder Norden.