Reise mit Motorrad 50 000 Kilometer in die Freiheit

Doris Ziemek ist mit dem Motorrad ein Jahr lang über die Panamerikana gefahren. Und weiß heute: „Das war die beste Zeit im Leben.“

Einmal mit Seelöwen toben oder Mexikos Baja California entlang fahren: Doris Ziemek war ein Jahr lang mit dem Motorrad auf der Panamerikana unterwegs.

Foto: Ziemek

Krefeld. Träumen kann man nachts? Doris Ziemek ist das zu wenig, die 49-jährige Berufskollegslehrerin aus Krefeld hat ihre Träume wahr gemacht: Sie ist mit Seelöwen und Schildkröten im Pazifik vor Galapagos geschwommen, auf Maya-Pyramiden in Mexikos Dschungel geklettert, sie hat in einem peruanischen Bergdorf im Kinderheim geholfen und glaubte bei einer Übernachtung auf 4800 Metern in Bolivien, sie müsse sterben. An nur einem Tag hat sie die bizarre Wüstenlandschaft des Death Valleys, dem heißesten Ort der Welt, durchquert, um schließlich im Yosemite Nationalpark zwischen gigantischen Tannenbäumen im Schnee zu stehen.

Am Ende der Reise hat sie es verkauft.

Foto: Ziemek

Ein Jahr lang ist Doris Ziemek mit dem Motorrad über die Panamerikana gefahren. „Ich wollte Natur erleben, die Freiheit spüren, aber im Auto ist man zu beschützt.“ Mehr als 50 000 Kilometer, vom kanadischen Vancouver über Alaska, durch die Nationalparks der USA, durch Mittel- und Südamerika, bis runter nach Chile, jeden Tag ein Stück weiter. „Die beste Zeit meines Lebens“, sagt sie heute — und will nach drei Jahren auch andere an ihren Erlebnissen teilhaben lassen. „Vorher waren die Eindrücke einfach zu stark, mit etwas Abstand lassen sie sich einfach besser sortieren.“ Dabei habe sie, als sie für 2011 ein Sabbatjahr einreichte, nicht mal über diese Reise nachgedacht. „Ich habe zu viel gearbeitet, stand kurz vor dem Burnout. Die Zeit wollte ich nutzen, um endlich mal Luft zu holen“, erinnert sich Doris Ziemek. Doch dann kam alles anders. „Mir ging es gesundheitlich besser.“ Was nun anfangen mit der ganzen Zeit? „Wahrscheinlich war es Abenteuerlust“, sagt die 49-Jährige. Ein Bekannter hatte sie auf die Idee mit der Motorradreise gebracht — „und ich wusste, ich habe den Mut dazu“.

In Peru hat Doris Ziemek drei Wochen in einem Kinderheim gearbeitet.

Foto: Ziemek

Nach einem Jahr der Vorbereitung flog Doris Ziemek mitsamt ihres umgebauten Motorrads, natürlich mit Krefelder Kennzeichen, nach Vancouver. Erstes Ziel: Das 6000 Kilometer entfernte Fairbanks, der nördlichste Punkt ihrer Reise durch Alaska — unendliche Weite und auf 700 Kilometern keine Tankstelle. „Dafür hatte ich mein Motorrad mit zwei Fünf-Liter-Tanks ausgestattet“, erzählt Doris Ziemek. Weiter durch die Rocky Mountains und die US-Nationalparks, ein „begnadetes Naturerlebnis“.

Vor der mexikanischen Grenze habe sie dann doch erstmal geschluckt. 15 Amerikaner hätten die mit ihren Harleys überquert und seien nie wieder aufgetaucht, das hat man ihr erzählt. Aber umdrehen? Für Doris Ziemek keine Option. Sie will weiter, diese „überwältigen Tempel“ im mexikanischen Urwald sehen. „Ich hatte Angst ja, aber Angst lähmt. Und man muss beweglich bleiben.“ Wenn sie etwas auf ihrer Reise gelernt habe, dann, „dass man auch in Länder reisen kann, von denen das Auswärtige Amt warnt, sie seien gefährlich.“ Und, noch wichtiger: „Ich habe schnell begriffen, nur Risiken einzugehen, die ich auch berechnen kann.“ Mit einem 200 Kilo schweren Motorrad die Sandpisten der Baja California entlang heizen? Nein. „Beim dritten Sturz hatte ich mir den Knöchel verstaucht.“ Sich ein Wettrennen mit der Polizei in Ecuador liefern? Ja, warum nicht. „Hier würde man anhalten, aber dort kann es genauso gut passieren, dass man die Polizei bestechen muss, wenn man weiterfahren will.“

Passiert sei ihr so etwas nie. „Ich hatte einfach Glück“, glaubt Doris Ziemek. Vielleicht auch, weil sie, die kleine, zierliche Frau mit den dunklen Haaren, nicht immer als Touristin wahrgenommen wurde. Vielleicht auch gerade weil sie eine Frau ist: „Die Leute haben gesagt, ich sei mutig, eine Machista, bei uns würde man Macho sagen.“

Und dann gab es sie doch, diese Situationen, über die die 49-Jährige heute sagt: „Ich kann froh sein, dass ich lebe.“ Als sie die Grenze von Ecuador nach Peru in den Bergen überqueren wollte und ihr, „irgendwo auf 3800 Metern Höhe“, eine Schlammlawine entgegenkam. Das Motorrad blieb darin stecken, Doris Ziemek aber unverletzt. Dass die Reise dort nicht zu Ende war, hat sie zwei Männern, die mit ihrem Lkw aus dem Nichts auftauchten und dem Seil zu verdanken, mit dem sie in Alaska ihr Hab und Gut vor den Bären im Baum sicherte: Damit konnten sie gemeinsam das Motorrad aus dem Schlamm ziehen.

Vielleicht sind es ja Erlebnisse wie dieses, die Doris Ziemek heute sagen lassen: „Ich war heilfroh, als ich wieder zurück war. Man nimmt gar nicht wahr, in welchem Paradies wir hier leben.“ Und in welchem Überfluss: Sie zeigt auf ein Foto, das sie kurz vor Perus Hauptstadt Lima aufgenommen hat: ein paar Hütten aus nicht mehr als geflochtenem Schilf in karger Landschaft. „Darin leben Menschen. Ohne Strom, ohne Wasser.“ Ob sie wieder fahren würde? „Ja, aber nicht mit dem Motorrad, sondern mit dem Segelboot.“ Einmal um die Welt — auch wenn das erstmal nur ein Traum ist. . .