Casting: Der Traum vom Schauspiel
Das Theater sucht Darsteller für ein Stück – und findet viele Frauen und Kinder, die mitmachen möchten.
Krefeld. Clemens, acht Jahre alt, spielt in seiner Freizeit Geige und liest gern. Lukas ist zehn, liebt Fußball und hat eine Eins im Lesen. Brigitte, 20 Jahre, spielt bei TV-Serien mit. Das sind drei von 34 Frauen und sieben Kinder, die zum Statisten-Casting in die Fabrik Heeder gekommen sind. Sie wollen im Stück "Die Troerinnen" am Theater mitwirken.
Die Tragödie von Euripides erzählt vom Trojanischen Krieg. Alle Männer Trojas sind bereits gefallen. Und Astyanax, Sohn von Andromache, ein zartes Kind von sechs Jahren, wird am Ende umgebracht. Für diese Rolle haben sich sieben Kinder gemeldet. "Komm bitte von links auf die Bühne, bleib in der Mitte stehen und schau ins Publikum", bittet Regisseur Bruno Klimek den kleinen Paul. An seiner Seite macht sich die Dramaturgin Ulrike Brambeer Notizen.
Zuvor hat der Regisseur den Kindern in wenigen Worten erklärt, dass Astyanax zum Schluss tot sein wird. Obwohl keine Anweisung für die Mimik gegeben wurde, haben die jungen Darsteller durchweg eine ernste Miene, einen traurigen, fast schon ängstlichen Ausdruck. Sehr eindrucksvoll auch Felix, der zwar eine große Bühnenpräsenz hat, aber trotzdem nicht genommen wird - er ist zu groß. Sein Bruder Jonas ist eines von drei Kindern, die für die Rolle in Frage kommen.
Im Anschluss findet das Vorsprechen der Frauen statt. "Wegen der hohen Anforderungen haben wir uns auf Kandidatinnen ausgerichtet, die Theater- und Chorerfahrungen mitbringen", sagt Petra Lena Rether, Leiterin der Statisterie am Theater Krefeld.
"In der Inszenierung des antiken Dramas wird der Chor trojanischer Frauen eine wichtige Rolle spielen", erklärt der Regisseur vorab. Der Sprechchor kommentiere das Geschehen auf der Bühne. "Auch emotional müssen sich die Sprechenden in die Szene hinein versetzen", so Klimek.
Bis zu vier Mal in der Woche wird geprobt. Noch vor Beginn des Castings wird so mancher Interessentin klar, wie groß nicht nur der zeitliche Aufwand ist. "Ich steige aus", erklärt eine, "der Text ist mir zu schwer und zu lang, mit 73 schaffe ich das nicht mehr." Eine andere Kandidatin wirft ein, für alle Fälle gebe es doch noch immer Hilfe aus dem Flüsterkasten, "falls ich mal ein Blackout habe." Regisseur Klimek winkt ab: "Eine Souffleuse konnte noch nie eine Vorstellung retten. Sie ist eher eine psychologische Unterstützung." Letzten Endes sei man auf sich gestellt.
Viele Kriterien fallen ins Gewicht wie etwa eine gute Stimme, nicht zu leise, nicht zu laut, ohne Dialekt oder Akzent, die Gestik, die Mimik. Mal lässt Klimek die Teilnehmerinnen sprechen, mal flüstern, mal bittet er sie zu schreien.
Nach einer kurzen Beratung mit Dramaturgin Brambeer teilt der Regisseur das Ergebnis mit: 21 Kandidatinnen erhalten eine Zusage. Christel ist leider nicht dabei und traurig darüber. Petra Lena Rether lässt ihre Schützlinge auch nach dem Casting nicht allein und tröstet: "Manchmal sind es nur Nuancen, die den Ausschlag geben."
So bekommt der Chor für das Stück "Die Troerinnen" Verstärkung: Frauen zwischen 20 und 70 Jahren, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und die dennoch eins verbindet - die Liebe zum Theater.