Eine Helferin in der Not

Dr. Annelie Gilles hat sich beruflich 32 Jahre lang für die Suchtbehandlung engagiert. Jetzt geht sie in den Ruhestand.

Krefeld. Eine Bilanz am Ende ihres Berufslebens will Dr. Annelie Gilles nicht ziehen. 14 Jahre lang hat sie die Klinik für Abhängigkeitserkrankungen der Krankenhaus Maria-Hilf GmbH geleitet. Am Mittwoch ist sie von der Geschäftsführung und den zahlreichen Mitarbeitern mit Wehmut verabschiedet worden. Die ist ihr eine Stunde später in ihrem Büro immer noch anzumerken. Die Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapie und Neurologie steht nicht gerne im Mittelpunkt. "Das Team - das ist die Basis für diese Arbeit", sagt die agile 62-Jährige, die ihrem Gegenüber aufmerksam zuhört und mit Bedacht antwortet.

32 Jahre lang hat Annelie Gilles mit Abhängigkeitskranken gearbeitet, die von Medikamenten, Alkohol oder illegalen Substanzen wie Heroin psychisch und oft auch physisch abhängig geworden sind.

Unter ihrer Leitung ist in den vergangenen Jahren im Alexianer Krankenhaus das Spektrum der Klinik für Abhängigkeitserkrankungen um die qualifizierte Akutbehandlung Drogenabhängiger, die ganztägig ambulante Rehabilitation und die Adaption als Übergang von der stationären Suchttherapie in die soziale und berufliche Wirklichkeit der Außenwelt erweitert worden.

Seit 1999 besteht die "Ambulante Rehabilitation Sucht", kurz ARS genannt. Ein zu der Zeit in NRW einmaliger Zusammenschluss von Gesundheitsamt, Alexianer-Krankenhaus und Caritas-Verband. Ziel dieser Behandlung ist es, die eigene Abhängigkeit zu thematisieren und befähigt zu werden, psychische und soziale Krisen zu meistern, ohne wieder zu Drogen jeglicher Art zu greifen.

Im Gegensatz zu stationären und teilstationären Maßnahmen, wird bei der ambulanten Reha der private, familiäre und berufliche Lebensrhythmus nur wenig beeinträchtigt. "Das ist für Selbstständige ebenso ideal wie für Frauen und Familien, die sich einen Arbeitsausfall von ein paar Monaten nicht leisten können."

Seit ihrer Gründung hat die ARS 156 Menschen helfen können. Das ist eine Zahl, die die Fachärztin - ohne den Kraftakt der Patienten zu schmälern - gesellschaftspolitisch relativiert: "Wir erreichen mit unserem Hilfesystem nur die Spitze des Eisbergs, das darf man nie vergessen." Der Großteil der Süchtigen tauche gar nicht erst auf, weil diese Krankheit in der Gesellschaft noch immer diskriminiert werde. "Schauen Sie sich doch selbst einmal in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis um: Über einen Herzinfarkt wird offener gesprochen als über eine Abhängigkeit...."

Diese Tabuisierung trägt laut Annelie Gilles dazu bei, dass die Patienten erst viel, viel später in die Hilfeeinrichtungen kommen und dadurch so viele psychische, physische und soziale Folgeschäden aufweisen. Umso mühsamer sei der Weg aus der Abhängigkeit.

Das weitverbreitete Vorurteil, viele Süchtige wollten keine Hilfe, macht sie ärgerlich. "Das ist großer Unsinn. Vielmehr müssen wir uns als Fachleute fragen, wieso können wir denjenigen nicht dazu motivieren, wieso erreichen wir ihn nicht."

Für die Arbeit mit Abhängigen hat sich die Psychiaterin 1978 bewusst entschieden. Damals hatte sie die seltene Gelegenheit, in einer neu zu gründenden Klinik Oberärztin zu werden. "Das war spannend, eine gemeindenahe Suchtkrankenversorgung mit aufzubauen mit stationären, ambulanten und komplementären Angeboten." Eine unschätzbare Erfahrung im Hinblick auf die Arbeit, die sie in den folgenden Jahren in Krefeld leisten sollte.

Was sie aus ihrer beruflichen Arbeit mitnimmt? "Großen Respekt vor den enorm vorhandenen Bewältigungsfähigkeiten vieler Betroffener. Was Menschen mit ganz schlechten Ausgangsvoraussetzungen manchmal so leisten, ist schon faszinierend." Das könnten sich Laien oftmals gar nicht vorstellen.