Konzert in der Kufa: Sido ohne Maske mit Geschichten vom Scheitern
Sido blieb recht brav bei seinem Auftritt am Freitag in der Kufa. Dafür gab's am Ende zwei Mal den "Arschficksong".
Krefeld. Für ihn ist das Konzert vorbei, bevor es überhaupt angefangen hat. Ein Junge sitzt vor dem Eingang der Kulturfabrik und kotzt sich die Seele aus dem Leib, während ihn die Wartenden in der Schlange verhöhnen: "Alter, du verträgst ja gar nix!" Ein Krankenwagen ist bereits mit Blaulicht herbeigeeilt, die Sanitäter fahren mit dem Wehrlosen davon.Sido spielt in der Kulturfabrik, das erste Mal seit vier Jahren.
Im Vorfeld war die Aufregung groß. Die Volkshochschule veranstaltete einen Diskussionsabend über die Gefährlichkeit von Gangsta-Rap, das Jugendamt kündigte einen Besuch an. Kein Wunder, schließlich war das letzte Konzert ein Skandal, der Polizeiermittlungen nach sich zog und Sido, das super-intelligente Drogenopfer, mehr als zehntausend Euro Strafe kostete.
Doch vier Jahre sind eine lange Zeit, der Rapper ist sanfter geworden, seine Sprache milder.Harris, Sidos Partner bei "Meine Lieblingsrapper", gestaltet das Vorprogramm. Er heizt an den Plattentellern die Stimmung auf, unter anderem mit Sido-Songs. Klar, dass die Leute in der fast ausverkauften Kulturfabrik ihren Helden, ihr schlechtes Vorbild - wie sich Sido in einem seiner Lieder betitelt - nicht erwarten können.
"Sido"-Sprechchöre ertönen, der Rapper lässt sich lange bitten. Dann geht der Beat los, seine Stimme ertönt aus den Lautsprechern. In der ersten Reihe kreischen kleine Mädchen, die schon um halb drei vor der Kufa saßen, um sich genau diese Plätze zu ergattern. In der letzten Reihe stehen zwei Mütter und wippen ihre Köpfe. Denn diesem Beat kann sich keiner entziehen: Er ist dunkel, tief und geht in die Beine.Das Publikum ist alles andere als homogen.
Es finden sich viele, die einen auf Sido machen: die Käppi schräg auf dem Kopf, überlanges T-Shirt und eine sehr weite Hose. Doch auch Punks mit "Terror"-Pullis sind zu sehen und einige, die man eher auf einem Bernd Begemann-Konzert vermuten würde. Gymnasiasten treffen auf Hauptschüler, Studenten auf junge Hartz IV-Empfänger. Der älteste gesichtete Mensch ist auf jeden Fall über fünzig, das jüngste Mädchen gerade mal 13. Definitiv gibt es einen starken Männerüberschuss.
Sido ist heute komplett ohne Maske unterwegs. Selbstironisch nimmt er sich und seine Rolle in der Popstars-Jury zwischen den Songs auf die Schippe. Und er macht sich über die Mitarbeiter des Jugendamts lustig, die er im Publikum vermutet. Auf dem Programm stehen Hits, aber nicht die großen Skandallieder: "Augen Auf", "Carmen", "Herz", "Schlechtes Vorbild", "Mein Block" und "Mein Testament". Jedes einzelne wird vom Publikum souverän mitgerappt.
Sido erzählt in seinen Songs Geschichten vom Scheitern - vom eigenen und fremden Versagen. In "Ein Teil von mir" entschuldigt er sich bei seinem Sohn, um den er sich lange nicht gekümmert hat. Und man fragt sich unwillkürlich, wie viele Jugendliche im Publikum ebenfalls vaterlos aufgewachsen sind. Er rappt von Perspektivlosigkeit, Ärger in der Schule, Aggressionen. Seine Lieder sind Trotz pur, gegossen in Beats und Reime. Gefühle, die jeder im Raum verstehen kann, die jeder schon mal hatte, in die harten Worte des Ghettos gefasst.
Sidos Musik kommt nicht vom Band. Er hat einen DJ, aber auch einen Schlagzeuger und Bassisten dabei. Das hört man, das fühlt man. Irgendwie hat man sich das Ganze skandalöser vorgestellt. Doch dann kommt die Zugabe. Sido ruft: "Was ist der Song, auf den ihr schon die ganze Zeit gewartet habt?" Dann spielt er den "Arschficksong" - zweimal hintereinander.
Die Menge jubelt, grölt und singt lautstark mit. Da ist der böse Bube des Rap-Geschäfts seinem Ruf ja doch ein wenig treu geblieben.