Sammler aus Leidenschaft: Die Hexenbrille aus dem Harz

Peter Wagner aus Bockum haben es die dreidimensionalen Bilder besonders angetan. Die gibt es seit über 150 Jahren.

Krefeld. Die Tauben auf dem Markusplatz in Venedig wirken zum Greifen nah, ebenso das Rhinozeros aus der Serie "Dixie-Raumbilder". Und selbst die vollschlanken nackten Damen aus den prüden 1950er Jahren räkeln sich dreidimensional im dünnen "exquisiten Magazin Cappriccio" (damals 1,25 Mark teuer) - wenn man sie denn durch eine rotgrüne Brille betrachtet. Jugendlichen war solcher Akt-Genuss vor gut 50 Jahren natürlich streng untersagt. Die konnten sich mit Winnetou-Abenteuern in 3D vergnügen - die Fotos stammten von den Festspielen in Bad Segeberg.

Stereoskopisches Betrachtungsgerät aus Blech, Bakelit, Plastik und Pappe hat der Sammler Peter Wagner in großer Zahl - und natürlich auch die entsprechenden Hefte, Mappen und Bücher. Vor etlichen Jahren hat sich der Pensionär aus Bockum auf die Stereoskopie gestürzt. Er zählt sich heute zu den "ungefähr 100 ernstzunehmenden Sammlern" in Deutschland. Hat er früher Flohmärkte und Antiquariate abgeklappert, durchforstet er heute verstärkt das Internet nach Angeboten.

Was ihn und seine Frau Brigitte fasziniert: "Stereobilder existieren schon seit über 150 Jahren - und sie sind bis heute nicht ausgestorben." So wird in Berlin der jüngste Harry-Potter-Film im Raum-Effekt gezeigt - auf einer 140000 Euro teuren Spezialleinwand. Erfinder des Stereoskops war 1832 der Engländer Charles Wheatstone - die erste Zwei-Objektiv-Kamera zum Festhalten bewegter Motive stellte der Schotte David Brewster 1849 vor.

Die Sehnsucht nach fremden Ländern, Menschen und exotischen Tieren führte Ende des 19. Jahrhunderts zu einem regelrechten Raumbild-Boom. Firmen vieler Branchen entdeckten die "Raumbilder" als Werbemittel, Kaiser’s Kaffee etwa oder auch die Dresdner Casanova-Zigarettenfabrik. Auch die Nazis konnten Massenauftritte auf dreidimensionale Weise eindrucksvoll darstellen. Von den Olympischen Spiele 1936 in Berlin präsentierteHitlers Hof-Fotograf einen dicken Band. Die Brille gab’s natürlich dazu.

Ab 1897 entwickelte sich die Neue Photographische Gesellschaft Steglitz zu einem Weltunternehmen mit Niederlassungen in New York und London. Die NPG schickte Fotografen mit Spezialkameras von Berlin in die ganze Welt, um paarweise Bilder, getrennt für jedes Auge, zu erzeugen. Die für den 3-D-Effekt nötigen Augengläser gab es für 25 Pfennige zu kaufen. 1921 schon war die NPG am Ende. Vergessen aber ist sie nicht: vom 3. Oktober bis 22. November findet in Berlin eine Ausstellung über "das vergessene Weltunternehmen" statt. Wagner wird einige Exponate dazu beisteuern.

Etwa die blecherne "Hexenbrille" aus dem Harz, hergestellt von der Neuen Photographischen Gesellschaft zwischen 1900 und 1910 für einen Kräuterschnapshersteller mit der Werbe-Botschaft "Fege den Magen mit dem Hexenbesen." Das Taschen-Stereoskop für Bildchen im Format drei mal sieben Zentimeter ist Wagners größter Schatz: "Ein Sammler-Kollege aus Berlin hat es mir geschenkt. Und jetzt geht die Hexenbrille wieder nach Berlin. Das hat doch was."

Sogar ein ganz aktuelles Exemplar hat Peter Wagner neulich in einem 3-D-Kino zwischen Ulm und Würzburg abgestaubt: den Werbeträger für den von Michael Cousteau präsentierten Film "Delfine und Wale". "30 Minuten habe ich gebettelt, dann hat mir der Kino-Mitarbeiter das beschädigte der beiden Exemplare überlassen. Das habe ich repariert - es ist nun besser in Schuss als der zweite Viewer."