Segelfliegen - Fast wie Schwerelosigkeit

Am Flugplatz Egelsberg läuft der Betrieb des Vereins für Segelflug Krefeld (VfS) auf Hochtouren.

Krefeld. Thomas Wiehle mustert leise murrend den Himmel. Die Wolken im Westen gefallen ihm nicht — sie sind zu zerfleddert: „Das waren mal Cumuluswolken, jetzt sind aber nur noch Reste übrig, keine idealen Bedingungen also.“

Gut seien blumenkohlförmige Wolken, am besten mit kreisenden Bussarden darunter. „Da ist dann eigentlich immer gute Thermik zu finden.“

Wiehle ist Segelflieger und daher immer auf der Suche nach diesem Phänomen: „Thermik ist Aufwind — Wind von unten also.“ Sie entstehe, wenn die Sonne einzelne Bodenregionen besonders erwärme. Die Luft darüber werde dadurch ebenfalls wärmer, dehne sich aus und steige nach oben: „In diesen Aufwinden können Segelflieger dann Höhe gewinnen, indem sie mit ihnen nach oben kreisen.“

Häufig formierten sich diese von Cumuluswolken gekrönten Thermik-Schläuche in langen Reihen — sogenannten Wolkenstraßen. „Und an denen kann man dann entlang reisen. Man kreist im ersten Schlauch nach oben und gleitet dann zum nächsten. Dort kreist man wieder hoch und gleitet weiter.“

Auf diese Weise könne man Höhen von mehreren tausend Metern erreichen und Entfernungen von einigen hundert Kilometern zurücklegen: „Solche Streckenflüge können schon mal rund zehn Stunden dauern und bis an die Mosel oder den Thüringer Wald führen.“

An diesem Tag seien die Witterungsbedingungen dafür aber zu schlecht. „Richtung Osten sieht es zwar ganz gut aus. Aber dieser Bereich ist mindestens 20 Kilometer entfernt.“ Theoretisch bestehe zwar die Möglichkeit, das Segelflugzeug per Motorflugzeug dorthin schleppen zu lassen: „Aber so ein weiter F-Schlepp ist zu teuer.“

Deshalb entscheidet sich Wiehle gegen einen Thermik-Flug mit Flugzeugschlepp und für eine Platzrunde mit Windenstart.

Die Winde steht am westlichen Ende der Startbahn, am östlichen Ende steht das Segelflugzeug. Dazwischen ist ein 850 Meter langes und 4,2 Millimeter dickes Stahlseil gespannt.

Wiehle gibt dem Windenfahrer ein Signal und der startet die Winde. Der Dieselmotor springt an und entfesselt 360 PS, um das Stahlseil aufzurollen. Dadurch wird der Flieger in drei Sekunden auf 100 km/h beschleunigt. Nach nur 20 Metern Rollweg hebt er ab und hat in wenigen Sekunden eine Höhe von 300 Metern erreicht.

In der Startphase war wegen des hohen Beschleunigungswertes und des steilen Steigungswinkels ein Vielfaches der Erdbeschleunigung zu spüren. Nachdem sich die Windenkupplung automatisch gelöst und Wiehle den Flieger mit Höhen-, Seiten- und Querruder stabilisiert hat, ist der Kontrast umso größer: Der Segelflug fühlt sich fast wie Schwerelosigkeit an.

Daran, dass die Schwerkraft keineswegs außer Kraft gesetzt ist, erinnert Wiehles Fallschirm, den er sich, wie jeder Segelflieger, vor dem Start umgeschnallt hat: „Den hab’ ich aber noch nie gebraucht.“ Allerdings müsse man im Fall der Fälle sowieso mindestens 200 Meter hoch sein, damit er sich noch rechtzeitig entfalten könne: „Wenn man niedriger ist und aussteigen muss — tja.“

Der Höhenmesser zeigt derweil 150 Meter an, Tendenz fallend. Aber ein Ausstieg ist auch nicht geplant, jedenfalls nicht in der Luft. Wiehle ist in den Landeanflug übergegangen. Mit ausgefahrenen Bremsklappen schwebt er über der Landebahn ein und setzt rumpelnd auf der Rasenfläche auf. Der Flug hat nur rund sieben Minuten gedauert: „Wie gesagt keine Thermik heute.“

Allzu enttäuscht ist er deswegen nicht, denn am nächsten Tag wird er wieder am Flugplatz sein: „Für morgen sind die Prognosen ganz gut.“

Und sollte es doch keine natürliche Thermik geben, seien da immer noch die Stahlwerke der Region: „Da gibt es Industrie-Thermik. Das stinkt zwar manchmal ein bisschen, aber nach oben kreisen kann man allemal.“