Taxi gratis, Zahnarzt gratis: Eine Insel „ohne Raffgier“
Von Bord der „Iron Lady“ gibt es nur gute Nachrichten. Die Yacht hat allerdings ihren Kurs geändert: Jetzt geht’s nach Rio.
St. Helena. Die "Iron Lady" steht wieder unter Segeln - vor sieben Tagen hat die vierköpfige Crew um Skipper Michael Wnuk die einsame britische Insel St. Helena im Südatlantik verlassen und bei aufgefrischtem Wind Kurs auf Brasilien genommen. Bei Nacht unter einem spektakulären Sternenhimmel, tagsüber bei gleißender Sonne und wenig Wolken.
Allerdings ist nicht mehr die Inselgruppe Fernando de Noronha und Salvador de Bahia das Ziel, sondern Rio de Janeiro, gut 1000 Meilen weiter südlich. Bootseigner Wnuk aus Moers-Kapellen hat unterwegs festgestellt, dass Liegegebühren und Aufenthaltskosten im Naturparadies der tropischen brasilianischen Inselgruppe zu hoch sind.
Dabei müsste die Bordkasse gut gefüllt sein: Jeder Mitsegler zahlt einen Schiffskostenbeitrag von 59 Euro am Tag. Im Online-Logbuch verkündet Michael Wnuk, dass die nun um 400 Seemeilen längere Route auch deshalb gewählt wurde, weil das Revier um die Baia Ilha Grande 60 Meilen von Rio entfernt das schönste Segelrevier Brasiliens sei. Noch liegen etwa 1400 Seemeilen vor der Mannschaft.
Überwältigt war die Crew von der Freundlichkeit der Menschen auf St. Helena - vor allem der Krefelder Weinhändler Thomas Kersting (46). Dem war auf dem 14-tägigen Törn von Kapstadt nach St. Helena die erste Krone herausgefallen und während des Fußmarsches vom Hafen zur Dental-Klinik die zweite. "Da fragt mich ein älterer Mann in einem Auto ohne jede Art von Aufdringlichkeit, ob ich ein Taxi benötige", schreibt Kersting ins Logbuch.
Schließlich will nicht nur der Taxifahrer kein Geld, sondern auch der Zahnarzt in der Klinik nicht, nachdem er die Kronen einzementiert hat: "Genießen Sie Ihren Trip." Auf der meist windumbrausten Insel hat sich schnell herumgesprochen, dass die Besucher nicht mit einer Luxusyacht vor Anker liegen, sondern mit einem knapp zwölf Meter langen, 8,5 Tonnen schweren und 25 Jahre alten Stahlsegelboot.
Thomas Kersting ist von den Helenianern begeistert: "Hier gibt es keine Kriminalität, keinen Neid, keine Raffgier, keine Hektik, kein übersteigertes Geltungsbedürfnis, keine unfreundlichen Menschen." Dort gibt es auch keinen Flughafen, sondern nur ein königliches Postschiff, das ein paar Mal im Jahr die abgelegenen Inseln anläuft. Im Garten des Hauses von Napoleon, der nach fünfjähriger Verbannung am 5. Mai 1821 auf St. Helena starb, fotografierte Kersting noch eine violette Blüte.
Mit aufgefüllten Diesel- und Wassertanks, nach einer ausgiebigen Motorinspektion, repariertem Spinnaker und ausgiebigen Süßwasserduschen haben sich Michael Wnuk, Thomas Kersting, Rainer Philipp und Wolfgang Heese wieder auf See begeben. Das Wetter war in den ersten fünf Tagen so ruhig, dass sie sich ein Bad im 26 Grad warmen Atlantik gönnen konnten und die "Iron Lady" mit Fotoapparat und Videokameras im Beiboot umrunden konnten. Inzwischen ist die Brise tüchtig aufgefrischt: Mit bis zu 40 Knoten bläst der Wind von achtern in die Segel der eisernen Lady.
Über Bord geworfen sind die ursprünglichen Pläne: Im Sommer will Michael Wnuk zu seiner Familie in Düsseldorf zurückkehren und das Schiff in einem Yachthafen bei Rio de Janeiro unterbringen. Für die anfangs geplanten Törns von Brasilien nach Argentinien und von dort über Tristan da Cunha und die "Roaring Forties" zurück nach Südafrika hat er noch keine kompletten Crews zusammen.