WZ-Serie: Die Nacht am laufenden Band
Klaus Dreyer und sein Team verarbeiten an einer Glühbeizlinie Stahl. Auch nachts.
Krefeld. Es ist laut am Arbeitsplatz von Klaus Dreyer. Manchmal sogar sehr laut. Sirenen heulen unvermittelt los, eine breite Bahn aus Blech faucht bedrohlich zwischen schweren Rollen. Irgendwo hämmert Stahl auf Stahl. Klaus Dreyer ist Linienführer einer Glühbeizlinie im Kaltbandwerk von Thyssen-Krupp Nirosta. Dort geht er auch auf Nachtschicht.
Es ist 22 Uhr. Dreyer ist bereits seit einer guten halben Stunde da. "Wir kommen immer etwas früher. Denn wir können nur dann weg, wenn die Ablöse da ist." Die Glühbeizlinie ist im Idealfall immer in Betrieb, 24 Stunden rund um die Uhr.
Aus Duisburg kommen so genannte Coils, gut 20 Tonnen schwere Stahlrollen, auf Frachtwaggons. Die stehen in der schier endlosen Halle unter dem kalten Licht der Deckenlampen. Ein Portalkran rauscht schnell unter der Hallendecke heran und liftet eine Rolle in die Höhe.
"Unsere Aufgabe ist es, diese Rollen kalt zusammenzuschweißen und durch große Hitze zu entspannen", erklärt Dreyer und schreit gegen den Lärm an. Denn kaltgeschweißter Stahl kann kaum weiterverarbeitet werden. "Zuviel Spannung drauf", erklärt der Linienführer, während er seinem Kollegen Robin Detzner über die Schulter blickt.
Der beobachtet mehrere Monitore, auf denen der genaue Produktionsablauf schematisch dargestellt ist. Sind die Rollen grün abgebildet, sind sie in Betrieb. Stehen sie, leuchten sie rot. Mit einem Zischen werden Stahlplatten aneinandergeschweißt. Eine Sache weniger Sekunden. Für die Präzision, für die in früheren Jahrzehnten Augenmaß nötig war, bürgt in diesem Abschnitt der Computer.
Stahl der Sorten Austenit und Ferrit werden bei Thyssen-Krupp Nirosta hergestellt. Daraus entstehen Spülbecken, Bestecke, Ersatzteile für Maschinen, Bauteile für Autos. "Alles, was man so im Alltag braucht", lächelt Dreyer.
Der Familienvater ist seit 20 Jahren in der Stahlverarbeitung. Zuvor hat er Bergmann gelernt. "Man muss schon gerne mit Maschinen umgehen", nennt er eine wichtige Voraussetzung seines Berufs. "Aber ansonsten haben wir hier alles, sogar einen ehemaligen Bäcker. Wir lernen uns gegenseitig an und normalerweise merkt man nach zwei Tagen, ob man für den Job geeignet ist."
Mit einem Aufzug geht es in die Höhe. Unter dem Dach der Halle wird der Stahl auf höllische Temperaturen erhitzt. "1200Grad", sagt Dreyer, während sein Gesicht vom dem glühenden Stahlband erleuchtet ist.
Das besondere am Thyssen-Werk in Krefeld: Der Stahl wird luftgekühlt. Breite Düsen fächern Luft auf das Band, das sogar von dem Strom auf einer Strecke von 40 Metern von der Luft getragen wird. "Das ist wirklich selten. Denn die Berührung durch Rollen verringert die Qualität. Qualität ist aber das, was uns auch in Krisenzeiten Aufträge sichert", doziert Dreyer das Evangelium des Konzerns.
Frank Hechler ist einer der Mitarbeiter, die mit modernster Computerhilfe und Augenmaß Fehler in der Stahlrolle aufspüren. Vor seinem Steuerpult mit mehreren Montitoren läuft das Stahlband, mittlerweile abgekühlt, senkrecht durch den Raum.
Mehrere Strahlerbatterien mit weichem, schattenfreien Licht beleuchten es und machen jeden Fehler oder Kratzer sichtbar, wenn dies nicht bereits zuvor vom Computer fotografiert und digital markiert wurde.
Die Nachtschicht von Klaus Dreyer endet um 6.30 Uhr. Im Sommer zeigt sich dann schon die Sonne des neuen Tages und zwitschern die Amseln, während es im Winter noch einige Stunden tiefste Nacht ist. Doch der Familienvater lässt sich von den Jahreszeiten nicht beirren: "Manchmal ist so eine Nachtschicht sogar besser, als tagsüber zu arbeiten. Man hat seinen toten Punkt, aber wenn der überwunden ist, kann man konzentrierter und besser arbeiten, als am Tag."