Zu Gast im EM-Wohnzimmer: Oranje verliert trotz Überzahl

Rolf und Saskia Kirstätter stammen aus Deutschland und den Niederlanden. Alles harmonisch, nur zur EM entsteht Konkurrenz.

Krefeld. Rolf Kirstätter liebt seine Frau Saskia. Gemeinsam haben sie drei bezaubernde Töchter. Er wirkt wie ein ausgeglichener Mann. An Niederländern schätzt der 43-Jährige Toleranz und Lockerheit. Auch deshalb hat er vor zehn Jahren eine Niederländerin geheiratet.

Rolf Kirstätter liebt auch den Fußball, vor allem große Turniere. Dann feuert der Ingenieur die deutsche Elf an. Seine schwarz-weiße DFB-Jacke stammt aus der Zeit der WM-Helden Völler, Klinsmann. Die trägt Vater Rolf auch heute: „Klar, das ist der Klassiker: Deutschland — Niederlande. Alles bereit für einen großen Sieg “, stichelt er in Richtung seiner Ehefrau.

Die lacht, wirft ihm einen herausfordernden Blick von der anderen Seite der Ledercouch zu und sagt mit niederländischen Akzent: „Das werden wir ja sehen.“ Zwischen den beiden sitzen Gerda und Wil, Saskias Eltern aus Amsterdam sowie die drei Töchter Valerie, Jule und Maike. „Wir sind für Unentschieden“, sagen die Mädchen, obwohl die Großeltern orangene Fan-Kronen für sie mitgebracht haben. „Die sind eben schick.“

Alle Anwesenden im Wohnzimmer — ausstaffiert mit großen Fahnen — warten auf den Anpfiff. Die Oranje-Seite des Sofas rätselt auf holländisch über die Teamaufstellung. „In Holland glauben viele, Trainer van Marwijk lässt Mark van Bommel nur spielen, weil der sein Schwiegersohn ist“, berichtet Saskia Kirstätter. Erste Zweifel?

Das Spiel beginnt, die Spannung lässt alle schweigen. Stürmer Klaas Huntelaar läuft nicht auf, dafür van Bommel — die holländischen Befürchtungen bestätigen sich.

In der Familie sprechen alle Niederländisch — aufgeregt wird das Geschehen kommentiert. Nur Rolf Kirstätter konzentriert sich lieber aufs Spiel. Die DFB-Elf scheint aktiver als das Oranje-Team, ein Tor bahnt sich an. Lautes „Ohhh“ und „Nee“ wechselt sich bei spannenden Szenen in den beiden Fanlagern ab.

Die Mädchen verlieren bald das Interesse, durch das Wohnzimmer turnen, Kuscheltier „Schweini“ pflegen, oder die Fußball-Sammelkarten sortieren ist interessanter. „Die Mädels dürfen heute nur länger wach bleiben, weil die Lehrerin den Test verschoben hat“, berichtet Mutter Saskia.

Dann passiert es: Als Gomez das 1:0 schießt, hält es Rolf Kirstätter nicht auf dem Sofa. Mit einem Satz hat er die Terrassentür aufgerissen und eine Luftdruckfanfare in der Hand: Der Lärm ist ohrenbetäubend, die Reaktionen der Anderen gehen unter.

Beim 2:0 kurz darauf darf Tochter Valerie mit zum Tröten auf die Terrasse. Ehefrau Saskia und die Eltern sind fassungslos — als der Lärm verklingt, zeigt sich erste Resignation: „Wir werden es ja wohl schaffen, ein Tor in diesem Turnier zu schießen“, sagt die 40-jährige Weinhändlerin.

Opa Wil schweigt, dafür wagt Schwiegersohn Rolf jetzt erste Prognosen: „Die verlieren — kämpfen ja auch nicht. Ich wette Deutschland holt den Titel.“

So kommt es, trotz Anschlusstreffers besiegen Lahm und Co. zumindest Team Oranje mit 2:1 — Rolf Kirstätter hat es gewusst. Fair reicht der Schwiegervater ihm die Hand. Ehefrau Saskia nimmt’s sportlich, wenn auch etwas zynisch: „Dann konzentrieren wir uns halt auf Olympia in London.“ Der Familiensegen bei den Kirstätters hängt ganz sicher nicht schief, gemeinsam analisyert man das Spiel bei einem Glas Wein — die drei Mädchen gehen erschöpft ins Bett. Weil es so spannend war, sind sich alle einig: Fast schade, dass die beiden Teams so früh im Turnier Gegner waren.