Er tastet sich durchs Leben
Ein Gehirntumor hat Ralf Schmidt fast komplett das Augenlicht genommen. Seine Lebensfreude hat er nicht verloren.
Langenfeld. Als Ralf Schmidt nach der Operation die Augen öffnete, war alles dunkel — es war Tag, die Sonne schien, doch für den 48-Jährigen war auf einmal tiefste Nacht. Dass er nach der Operation blind sein könnte, darauf hatte ihn der Arzt vorbereitet. Doch als er dann so hilflos im Krankenbett lag, traf es ihn wie einen Schlag ins Gesicht. „Ich hatte einfach Angst“, sagt er heute.
Neun Jahre sind seitdem vergangen. Und der Tumor sitzt immer noch in seinem Kopf. Er konnte damals nur teilweise entfernt werden. Auf dem linken Auge kann Ralf Schmidt mittlerweile wieder sehen, allerdings mit einem sogenannten Tunnelblick. „Ich gucke quasi durch eine schmale Röhre“, erklärt er selbst seine Sehbehinderung. Heute kann er darüber offen sprechen. In der Anfangszeit sah das anders aus. „Ich rutschte tief ab und ertränkte meinen Schmerz in Alkohol.“ Depressionen folgten. In einer Spezialklinik lernte er, mit seiner Behinderung umzugehen — seine Lebensfreude ist jetzt stärker denn je.
„Mein Blick auf die Welt hat sich komplett geändert.“ Er weiß Kleinigkeiten zu schätzen. „Viele regen sich immer über das Wetter auf: zu kalt, zu warm. Ich bin einfach glücklich, wenn Sonnenstrahlen oder Regentropfen meine Haut berühren und ich das erleben darf“, sagt Ralf Schmidt und lächelt.
Es könnte sein, dass er morgens aufwacht und sein Sehvermögen komplett verloren hat. Die ungewisse Zukunft hat ihn gelehrt, den Moment zu genießen, im Hier und Jetzt zu leben. „Zukunftspläne schmiede ich nicht mehr.“
Er hat sich seinen Lebensumständen angepasst. Sein Körper auch. Auf seine Augen kann sich Ralf Schmidt nicht mehr verlassen — auf seine anderen Sinne dafür um so mehr. Hören, riechen, schmecken, tasten — damit nimmt der Langenfelder die Welt heute wahr. Auch im Hinblick auf seine Mitmenschen hat sich seine Wahrnehmung verändert. „Äußerlichkeiten spielen keine Rolle mehr für mich.“ Menschen, die er gut kennt, berührt er am Arm oder an der Hand, wenn er mit ihnen spricht, so baut er eine Verbindung zu ihnen auf.
Auch im Straßenverkehr hilft es ihm, wenn ein Sehender ein Stück voraus geht und ihn an der Hand führt. Zwar verlässt er ohne seinen Blindenstock nie das Haus, aber die Langenfelder Innenstadt hält für ihn so manches Hindernis bereit. Abgesenkte Bordsteinkanten an Fußgängerüberwegen und Ampeln beispielsweise. „Ich brauche für den Stock einen Widerstand, sonst weiß ich nicht, wo der Bürgersteig beginnt.“ Überhaupt eine Ampel zu finden, ist für ihn nicht einfach. „Für Blinde müssten im Boden Noppenplatten eingelassen sein, die mit dem Stock ertastbar sind und bei der Orientierung helfen.“ In Langenfeld ist das nicht der Fall. Es gibt zwar vereinzelt Blindenampeln, doch ohne akustisches Signal. „Wie soll man die finden?“
Davon abhalten, selbstständig durch die Stadt zu gehen, können ihn aber weder Bordsteine noch Ampeln. „Zu Hause rum sitzen, das ist gar nichts für mich.“ Das Leben findet schließlich vor der Haustür statt — und Ralf Schmidt will jede Sekunde genießen.