Kreuzfahrt - das Kirchentagsblog Kirchentagseröffnung: Von zu wenig und zu viel Gespür

Unser Reporter Ekkehard Rüger berichtet im Blog vom 36. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Berlin. Mittwoch ist der Eröffnungsabend in Berlin-Mitte. Alle drei großen Veranstaltungsorte für die Eröffnungsgottesdienste sind abgeriegelt. Sicherheit ist auch hier das oberste Gebot.

Eröffnungsgottesdienst vor dem Reichstag.

Foto: Ekkehard Rüger

Berlin. Nein, die Welt ist nicht in Ordnung. So viele Maschinenpistolen, schusssichere Westen und Sicherheitsschleusen waren noch nie beim Kirchentag. Das beruhigt die eigene Unsicherheit, erfordert aber auch eine Menge Geduld. Am Eröffnungsabend in Berlin-Mitte sind alle drei großen Veranstaltungsorte für die Eröffnungsgottesdienste (Brandenburger Tor, Platz der Republik, Gendarmenmarkt) abgeriegelt. An den Durchgängen bilden sich vor den Taschenkontrollen lange Schlangen.

Eröffnungsgottesdienst vor dem Reichstag.

Foto: Ekkehard Rüger

Was ist der richtige Tonfall für so einen Eröffnungsgottesdienst: wie viel Anteilnahme, wie viel Freude, wie viel Trost? Es gibt einen starken Moment vor dem Reichstag - als im Wechsel mit Psalmversen und Zitaten aus dem 1. Korintherbrief an die Wucht der Geschichte an diesem Ort erinnert wird. Der Ausruf der Weimarer Republik, die NS-Zeit, die Stunde Null, deutsche Teilung und Wiedervereinigung, der Einzug des Deutschen Bundestags.

Blumen in Gedenken an die Opfer von Manchester liegen vor der britischen Botschaft in Berlin.

Das hätte ein starkes Fundament für einen starken Auftakt werden können. Aber dann folgt die Gottesdienst-Dramaturgie doch lieber dem Friede-Freude-Eierkuchen-Pfad. Es mag der langen Vorbereitung geschuldet sein, die sich nicht so recht mit einer schnellen Reaktion auf aktuelle Ereignisse verträgt. Aber man muss schon lange warten, ehe erst in den Fürbitten pflichtschuldig das Wort "Manchester" auftaucht.

Der Abend der Begegnung auf dem Gendarmenmarkt.

Dafür macht sich im modern-flotten Liedgut fröhliche Behauptungs-Theologie breit. "Wenn ich sterbe, wenn ich sterbe, spüre ich: Gott sieht mich an, jetzt und heute. Gott ist bei mir - morgen und immer. Das ist gut. Das ist gut. Das ist gut." Das sind die Momente, in denen man vor lauter Spüren wieder spürt, was man an Paul Gerhardt hat und warum mancher Liedtext das karierte Notizbuch besser nie verlassen hätte.

Was wir sonst noch mitnehmen: Eckart von Hirschhausens "Du-siehst-mich-Geste": Die zu einem Fernrohr gerundeten Finger werden den Kirchentag jetzt an allen folgenden Tagen um 13.29 Uhr verfolgen und den Blick auf unseren jeweiligen Nächsten oder einen anderen Blickfang richten. Die Ergebnisse sollen auf Twitter unter dem Hashtag #dusiehstmich die Welt beglücken. Ich werde um die Zeit beschämt zu Boden sehen.

Der abendliche Weg vom Reichstag zum Gendarmenmarkt führt über die Wilhelmstraße und an der britischen Botschaft vorbei. Blumen an der Botschaftsmauer zeigen, dass es auch ein richtiges Gespür geben kann für das, was der Moment verlangt. Dann löst sich alles auf im Abend der Begegnung: Essen, Bands, Volksfestfriede. Bis beim Besuch des Toilettencontainers das Leben da draußen wieder einbricht. Neben mir: zwei schwer bewaffnete Polizisten mit schusssicherer Weste und Knopf im Ohr. Die Welt ist nicht in Ordnung.