Wenn der Sport zur Sucht wird
Wenn die Bewegung zum alles beherrschenden Lebensinhalt wird, sollte man die Notbremse ziehen.
Düsseldorf. Wann der Schalter in ihr umgelegt wurde, kann Laura (Name geändert) im Rückblick gar nicht so genau sagen. „Irgendwann reichte mir die Stunde Joggen nicht mehr. Ich wollte mir beweisen, dass ich meine Grenzen verschieben kann.“
Die 28-Jährige erhöhte die Distanzen fast täglich, lief auch bei Schnee und Eis — bis zu drei Stunden am Tag. Zudem begann sie mit Krafttraining, ging zwei Mal pro Woche zum Taekwondo — trotz Müdigkeit, trotz Schmerzen. „Ich hatte keinen Spaß mehr am Sport, aber ich fühlte mich schlecht, wenn ich mich nicht zu Höchstleistungen trieb“, sagt Laura heute. Sie machte immer weiter — bis sie ein komplizierter Bänderriss stoppte, und letztlich rettete.
Wenn Sport zum dominierenden Lebensinhalt wird, kann eine Sportsucht vorliegen. „Das ist keine international anerkannte Diagnose“, erklärt die Sportwissenschaftlerin Xenia von Holtey von der Deutschen Sporthochschule Köln. Sportmedizinern sei ein solches suchtartiges Verlangen nach sportlicher Betätigung aber nicht unbekannt.
Dabei gehe es oft gar nicht um den Sport an sich, sondern um die Ablenkung von tiefer liegenden Problemen. Nach Ansicht vieler Sportpsychologen spielt später auch das zunehmende Verlangen nach den Botenstoffen Dopamin und Endorphin, die nach dem Sport ein Gefühl von Zufriedenheit verbreiten, eine Rolle.
Häufig versuchen Sportsüchtige, ihr Selbstwertgefühl durch die Annäherung an gängige Schönheitsideale zu steigern. Männer wollen mehr Muskelmasse aufbauen, Frauen schlanker werden. Beides ist, maßvoll betrieben, natürlich nichts Schlechtes. Zum Problem wird es, wenn das Trainieren zum zentralen Lebensinhalt wird, wenn man alles andere vernachlässigt. In einigen Fällen, vor allem bei Frauen, geht die Sportsucht mit einer Essstörung einher, was die Risiken verschärft.
Große Sportbegeisterung muss nicht gleich ein Zeichen für eine Sucht sein. Zur Vorsicht raten Sportpsychologen aber, wenn der Kontakt zur Familie oder zum Lebenspartner wegen des Trainings leidet. Auch wer sich außerhalb des Sports keine Ziele mehr setzt, sollte aufpassen. Gefährlich wird es spätestens, wenn trotz Krankheiten oder Verletzungen trainiert wird.
Viele Betroffene können die Sucht nicht allein bezwingen, eine psychologische Verhaltenstherapie ist oft ein Ausweg. Im Übrigen sollte man wissen: Exzessives Training ohne Zeit zur Regeneration bewirkt das Gegenteil von dem, was man erreichen will. „Das Leistungsniveau sinkt, Erfolgserlebnisse bleiben aus“, erklärt von Holtey. Am Ende kann die Sportsucht sogar in eine Depression führen.