Auf ein Abschiedsbier mit den H'Mong-Mädchen
Eine Nacht im H'Mong-Dorf Hau Thao ist nicht unbedingt eine ruhige. Irgendwann schreit ein Baby im Nachbarhaus, was durch die Holzwände überdeutlich zu hören ist. Dann entlädt sich ein Gewitter mit lautem Donnergrollen über den Bergen.
Schließlich, als noch nicht einmal Tageslicht zu sehen ist, beginnen die Hähne zu krähen. Als ich es endgültig aufgebe, zu schlafen, stehe ich auf - ich trage noch immer die durchgeschwitzten und schmutzigen Trekkingklamotten vom Vortag; für Zeug zum Wechseln war kein Platz in meiner kleinen Tasche - und laufe hinaus in die Reisfelder, um zu sehen, wie die Sonne im Morgennebel über die Gipfel klettert.
Als ich zurück in die Hütte komme, tischt Sho Schüsseln voll Bohnen, frischem Omelette mit Frühlingszwiebeln, Reis und gebratenen Nudeln mit Zwiebeln und Tomaten auf. Einen frischen Milchkaffee nach vietnamesischer Art gibt es dazu. Und Shos Argusaugen, die mich ohne Unterlass beobachten, während sie immer wieder sagt: "Nimm mehr!" und mir aufschaufelt - als hätte sie beschlossen, das arme, europäische Mädchen brauche dringend mehr auf den Rippen.
Nach dem Frühstück und einem herzlichen Abschied von Shos Mutter wandern wir wieder los. Mit zugegebenermaßen etwas steifen Knien von der Anstrengung des Vortages. Diesmal zumindest geht es von Hau Thao erst einmal bergab - durch andere H'Mong-Dörfer hinab zum Fluss, der durch das gesamte Tal bis zurück nach Sapa fließt. Und in dem heute Morgen Kinder mit den Büffeln ihrer Familie vergnügt plantschen. Auch Sho muss laut lachen, als sie die Szene beobachtet.
Am Fluss entlang geht es in ein Dorf der Dzay - eine weitere Minderheit des Hochlandes, die man an ihren roten Kopftüchern erkennt. Die Umgebung hier unten ist ebenso bezaubernd wie in Hau Thao oben am Berg. Hier ist man zwar nicht auf Augenhöhe mit den Wolken. Dafür werden die Dimensionen der Berglandschaft vom Tal aus noch deutlicher. Ich bin fast enttäuscht, als wir an unserer Endstation ankommen und Shos Bruder mit dem Motorbike wartet, um uns zurück nach Sapa zu fahren.
Aber nur, bis ich mich von Sho verabschieden will und sie sagt: "Ich muss jetzt zur Busstation, um neue Touristen für morgen zu finden. Aber lass uns um drei an der Kirche treffen und noch ein Bier trinken gehen." Ich freue mich riesig, dass sie mich offenbar ebenso in ihr Herz geschlossen hat wie ich sie - und sage zu, obwohl ich komplett erledigt bin.
Pünktlich um 15 Uhr treffen wir uns an der Kirche wieder und begeben uns mit einer ganzen Gruppe bunt gekleideter H'Mong-Mädchen und -Frauen in eine kleine Straßenbar im Hof eines Abrisshauses, die ausschließlich das frisch gebraute Bia Hoi ausschenkt. Den Krug mit 1,5 Litern gibt es hier für 25.000 Dong - unwesentlich mehr als ein Euro. Wir sitzen zusammen, knabbern Erdnüsse, die hier gekocht statt geröstet werden, und lachen viel. Immer wieder übersetzt Sho für mich - und ich muss für eine ihrer Freundinnen die Anfragen eines Engländers zum Trekking auf Facebook beantworten. Englisch lesen und schreiben kann in dieser Runde keine. Macht nichts, wir können uns trotzdem verständigen.
Als ganz allmählich eine Frau nach der anderen sich verabschiedet, werde ich skeptisch. Ist der Plan, die Europäerin einzuladen und nachher die Rechnung auf sie abzuwälzen? Ich gehe kurz zur Toilette - und als ich wiederkomme, sagt Sho: "Alles klar, wollen wir gehen?" Ich bin verdutzt. "Hast du schon alles gezahlt?", frage ich. Sie nickt nur. Ich schäme mich - und biete an, ihr Geld zu geben. Sie winkt ab. "Das ist dafür, dass du immer so viel lächelst", erklärt sie und strahlt mich an.
Sho und ich verabschieden uns mit einer festen Umarmung und meinem Versprechen, bald mit meinem Freund wiederzukommen. Sie ist aufgeregt und sagt: "Dann kommt ihr beide mit in mein Dorf, ich sage meinem Mann, er soll euch eine Hütte bauen - und dann kannst du für immer mit meiner Familie leben!" Ich könnte heulen. Ich hätte nie gedacht, einmal eine Analphabetin und Angehörige eines vietnamesischen Bergstammes meine Freundin zu nennen. Aber jetzt fühle ich mich doch sehr geehrt, dass es so ist. Einmal mehr: Glück gehabt! Und zwar großes.