Auf Wohnungssuche in Melbourne mit Straßenzauberern und Überlebenskünstlern
Melbourne. Das Glück, der Zufall, das Schicksal, das Universum - was auch immer hat entschieden, dass ich in diese Baustelle am Yarra River stolpere und einen Job bekomme. 24 Stunden zuvor hatte ich mir vorgenommen, Melbourne zu verlassen, sollte mich diese Stadt noch einen weiteren Tag so ablehnend behandeln.
Jetzt ist entschieden: Sie bekommt ihre Chance.
Allerdings fühle ich mich noch nicht im Geringsten angekommen. Ich lebe aus einem Koffer, sperre meine Wertsachen in einem der Hostelschließfächer ein und muss nachts immer an den Zimmerschlüssel denken, wenn ich mal zur Toilette muss. So wird man einfach nicht heimisch. Also beschließen Burcin, meine Hostelmitbewohnerin sowie Kellnerkollegin in spe, und ich, nach einer Wohnung zu suchen.
Überall in Melbourne gibt es findige "Landlords", die sich Appartements zulegen, massenhaft Hochbetten hineinstellen und sie für relativ kleines Geld an Backpacker vermieten. Die erste Besichtigung organisiert Gunther aus dem Hostelschlafsaal nebenan für uns, ein Deutscher mit eigener Firma, der allerdings gerade ein Aussteigerleben als Straßenzauberer in Australien beginnt. Bei seinen Shows an der Southbank-Promenade hat er Chris kennen gelernt, der dort Touristen 50 Dollar verspricht, wenn sie eine bestimmte Strecke auf seinem Wackelfahrrad zurücklegen, das nach rechts fährt, wenn man nach links lenkt - wobei die Herausgeforderten für ihre Versuche natürlich zahlen müssen; Straßenkunst in Melbourne ist ein sehr komplexes Geschäft.
Chris' Wohnung ist im zehnten Stock und hat einen atemberaubenden Ausblick auf die State Library mitten in der City. Allerdings müssten Burcin und ich nicht nur für einen Monat im Voraus zahlen - plus Kaution -, was wir gerade so gar nicht können. Wir müssten auch ein Doppelbett teilen. Auf Dauer vielleicht ein bisschen viel der Nähe.
Am nächsten Tag besichtigen wir eine weitere Wohnung - und nach 30 Sekunden stehen wir schockiert wieder auf der Straße. Ein solches Loch habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen! Bevor ich mir eine Dusche mit kiloweise schwarzem Schimmel teile, nehme ich lieber die Gemeinschaftsbäder im Hostel in Kauf. Und die ordentlichen Wohnungen scheinen stets fünf Minuten nach Auftauchen des Inserats im Internet schon vergeben zu sein. Oder die Vermieter laden noch zur Besichtigung ein - sagen dann aber kurz vorher ab, weil sie doch schon jemanden gefunden haben. Einmal mehr stehen wir kurz vor der Aufgabe, als sich wiedermal Glück oder Zufall oder was auch immer einschaltet.
Wir erzählen unseren neuen Kellnerkollegen beim ersten Teamtreffen von unserer vergeblichen Suche - und eine junge Britin, Georgie, meldet sich: "Ich ziehe morgen mit zwei Freundinnen in eine Wohnung ganz in der Nähe. Ich glaube, da sind noch zwei Betten frei. Soll ich mal fragen?" Um eine lange Geschichte kurz zu machen: Einen Tag später ziehen auch Burcin und ich ein. Unser neues Zuhause ist ein Lehrstück, wie man zwei Hochbetten für insgesamt vier Mädchen auf zehn Quadratmeter unterbringen kann.
Noch im Wohnzimmer mit offener Küche ist eine Ecke mit Stellwänden abgetrennt, in der wiederum vier Jungs leben. Oder besser hausen. Aber ich habe einen Schrank, in den ich meine Kleidung hängen kann, ich kann mein Duschzeug im Bad lassen und teile mir die Küche jetzt mit acht statt wie im Hostel mit 250 Menschen.
Aus dem Fenster am Kopfende meines Bettes schaue ich auf die Skyline Melbournes und meist blauen Himmel. Das Ganze für 115 Dollar die Woche - in der Woche der Australian Open habe ich im Hostel selbst mit Daueraufenthaltsrabatt 260 gezahlt. Und mehr Komfort als in meinem kleinen Campervan auf der Cattle Station habe ich hier allemal - Reisen bildet nicht nur, es macht mitunter auch sehr bescheiden.