Melbourne: Vom Busch ins Wirrwarr des Großstadtdschungels
Melbourne. Melbourne also. Ich glaube, einen größeren Gegensatz zum weiten Busch des Northern Territory und den einsamen Bergen Western Australias hätte ich nicht finden können.
Als ich nach einem zwölfeinhalbstündigen Flug nach Hongkong und einem über zehnstündigen Weiterflug nach Australien aus dem Flughafengebäude gekommen bin, nieselte es, die Busfahrt in die Stadt dauerte ewig und der Marsch von der Station Southern Cross bis zum Hostel noch viel ewiger. Als ich um ein Uhr morgens und nach fast zwei Tagen ohne Schlaf - dank meiner Flugangst - endlich in meiner Unterkunft war, half nur noch eins. Nein, kein Bett.
Ein eiskaltes Carlton Draught. Dann allerdings ein Bett. Als ich am nächsten Tag aus dem Hostel auf die Straße trat, um die Stadt zu erlaufen, war ich überwältigt. Was ich nachts nur erahnen konnte, war das Wirrwarr aus dichtgedrängten Wolkenkratzern in Melbournes Zentrum. In allen erdenklichen Höhen, Breiten, Formen, Betonklötze, Glasklötze, Beton-und-Glas-Klötze. Wer diesen Anblick richtig deutet, versteht erst, wie wahnsinnig leer und unerschlossen der große Rest von Australien wirklich ist. Denn in Sydney und Melbourne konzentriert sich fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung von gerade einmal 23 Millionen.
In Melbourne, einem Konglomerat aus 30 Gemeinden, allein weit über vier Millionen. Wobei sich die Trubeligkeit der Großstadt auf das Herz der Stadt, Melbourne City mit etwas über 70.000 Einwohnern, rund um den Yarra River konzentriert. Am Südufer wird er gesäumt von einer Promenade mit extrem edlen Restaurants und Bars, aber auch einer vitalen Szene von Straßenkünstlern, die gut organisiert ist und im allmorgendlichen Losverfahren die Plätze und Zeitfenster für Auftritte untereinander aufteilt.
Akrobaten, Zauberer, Komödianten zeigen da ihr Können und die Passanten nehmen sich gern die Zeit, zuzusehen und ein paar Dollar zu zahlen. Am Nordufer, zu dem vielzählige Brücken führen, beginnt der CBD - der Central Business District. Gleich hinter dem großen Bahnhof Flinders Street reihen sich Fast-Food-Restaurants an Klamottenläden, dann kommen die Edelboutiquen rund um das Edelkaufhaus Myer an der Bourke Street und irgendwann Chinatown. Dazwischen bewegt sich ein Menschenstrom, bei dem die "Melburnians" und der Riesenanteil internationaler Touristen verschmelzen.
Denn die Stadt ist unsagbar multikulturell. Während man Aborigines im Gegensatz zu den nördlichen Bundesstaaten überhaupt nicht sieht, leben hier Chinesen, Kroaten, Italiener, Vietnamesen und eine gigantische griechische Gemeinschaft zusammen. Die Zeitschrift "The Economist" hat Melbourne in den vergangenen vier Jahren immer wieder zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt.
Und lebenswert ist sie, keine Frage. Der Yarra River als Wasserader und der Botanische Garten einen Steinwurf von der Südpromenade entfernt als grüne Lunge brechen den Betondschungel ebenso auf wie viele kleine Parks oder einfach ein Flecken Rasen vor der State Library mitten im CBD, auf dem dank des freien Wifi immer viele junge Menschen hocken. Aber Melbourne ist auch so anders, so abgehoben von dem großen Rest des Kontinents, dessen raue Seite abseits der hübschen Küsten ich so lieben gelernt habe. In den Pubs sitzen keine dreckverschmierten Männer in Arbeitershirts, sondern extrem durchtrainierte Damen in knappen Röcken und auf sehr hohen Hacken. Geflucht wird nicht. Vielleicht auch nicht immer ausgesprochen, was gedacht wird. Ob mir das gefällt, weiß ich noch nicht. In jedem Fall hat Melbourne eine Chance verdient.