So viel Farbe und Leben - und so viel Verführung

Ich könnte in Sapa ohne Not noch eine weitere Woche zubringen. Und doch habe ich irgendwie das Gefühl, noch mal eine weniger touristische Gegend in den Bergen kennen lernen zu müssen. Also fahre ich schweren Herzens weiter - aufgeladen mit unvergesslichen Erlebnissen und Begegnungen.

Foto: Juliane Kinast

Nach Bac Ha. Eine Reise, die billig ist - aber wenig komfortabel im vollgestopften Minibus mit Locals, denen im Auto chronisch schnell schlecht wird. Sie führt über Lao Cai, eine wenig attraktive Grenzstadt, an deren Rand wir einem Fluss folgen. Der Fahrer dreht sich zu mir um und deutet auf das andere Ufer: "China!" Wow. Das es SO nah ist, wusste ich nicht.

Foto: Juliane Kinast

Bac Ha ist genau das, was ich wollte: null touristisch. Siena, eine Australierin, die ich im Minibus kennen gelernt habe, und ich haben Glück, dass wir vor einem kleinen Restaurant abgesetzt werden, dessen Besitzer auch ein Hostel betreibt. Für weniger als vier Euro können wir uns dort einmieten - und versuchen dann, unsere Weiterreise zu organisieren, was in einem Dorf ohne Reisebüros, Busanbieter und dergleichen gar nicht so leicht ist. Aber schließlich habe ich mein Ticket nach Halong Bay für den Abend des nächsten Tages - und kann entspannt durch die Reisfelder rund um die kleine Stadt wandern. Jedes Kind winkt mir begeistert zu und ruft "Hallo" oder "Bye". Hier ist man als Tourist noch fast Exot.

Foto: Juliane Kinast

Zumindest an sechs Tagen die Woche. Denn am nächsten Morgen füllen sich die verschlafenen Gassen von Bac Ha plötzlich mit prallem Leben - von Angehörigen aller Minderheiten im Hochland über die Menschen aus umliegenden Städten bis hin zu internationalen Besuchern. Es ist Sonntag. Markttag. Und der Markt ist berühmt hier in den Bergen.

Foto: Juliane Kinast

Zuerst wandere ich durch ein Sträßchen, in dem H'Mong ihr frisches Gemüse und Obst anbieten. Unter bunten Kunststoffdächern wird gleich daneben ihr Handwerk feilgeboten: bunte Täschchen, Portemonnaies, Tücher, Decken und die bunten, geschmückten Teile der traditionellen Kluft.

Foto: Juliane Kinast

Dass dies keine Showveranstaltung für westliche Besucher ist, wird nicht nur hier deutlich, wo Stammesmädchen tatsächlich bunte Westen in den Händen drehen und um gute Preise feilschen. Sondern vor allem ein paar Meter weiter, wo Hühner in Korbgeflechten vor sich hin gackern - und bei Bedarf à la minute geschlachtet werden -, Frauen mit spitzen Strohhüten kleine Schweine an einfachen Leinen halten und Hunde in Käfigen auf den Gepäckträgern von Mofas hocken. Eine Treppe führt von hier auf ein Plateau, auf dem Farmer ihre Büffel zum Kauf anbieten. Sie alle haben Ringe in der Nase und sind an Steinbrocken auf dem Boden festgebunden. Trotzdem fangen zwei Bullen zu kämpfen an. Von den umstehenden Kaufinteressenten kümmert sich niemand darum. Ich erinnere mich, was Sho mir erzählt hat: Ein Büffel kostet etwa 60 Millionen Dong - fast 3000 Euro. Hier geht es um ein sehr ernsthaftes Geschäft.

Foto: Juliane Kinast

Der Markt ist ein Platz des lauten Stimmengewirrs; alle zwei Meter schlägt mir ein neuer Geruch mit voller Wucht ins Gesicht - nicht immer ein guter. So viel Farbe und Leben und Vielfalt habe ich nur selten auf einem Haufen gesehen. Und so viel Verführung. Ich habe einen übervollen, schweren Koffer - aber ich kaufe an jeder Ecke doch noch ein Etui, ein Beutelchen, ein Sonstwas für kleines Geld. Bis ich irgendwann Siena bitte, mich doch zurückzuhalten. Wir flüchten in ein kleines Café und trinken frischen Ingwertee. Der Markt ist für uns ab jetzt tabu und wir bleiben fern.

Foto: Juliane Kinast

Am frühen Nachmittag bauen die Bauern ihre Stände ab, packen ihre verbleibenden Güter ein. Bac Ha verfällt wieder in seine einsame Schläfrigkeit - für sechs neue Tage. Und ich bereite mich schweren Herzens darauf vor, diese wundersame Bergwelt zu verlassen, um das Unesco-Weltnaturerbe in der Halong Bay an der Küste zu sehen.