Pekings gigantische Spiele 2008

Frankfurt/Main (dpa) - Und der Mensch kann doch fliegen. Als Li Ning durch das „Vogelnest“ schwebte, da glaubten das zumindest für einen kurzen Augenblick etwa vier Milliarden Fernsehzuschauer.

Mit einem Drahtseilakt entzündete der chinesische Turn-Olympiasieger und erfolgreiche Geschäftsmann am 8.8.2008 die olympische Flamme in Peking. Die Eröffnungsfeier zu den Spielen der XXIX. Olympiade war, so schrieb das britische Blatt „The Independent“, „die größte Show, die die Welt je gesehen hat.“ Und der Auftakt zu Sommerspielen des Gigantismus, mit denen die Chinesen für zwei Wochen der Welt die Macht des Machbaren zeigten.

Zurück blieben architektonisch einzigartige Sportstätten, die keiner mehr braucht, viele kritische Stimmen von Regimegegnern, die behaupten, das Spektakel habe nichts an den politischen Problemen gelöst, - und Erinnerungen an sportliche Sternstunden und eine perfekte Organisation. „Brillante Spiele“, schwärmte Deutschlands höchster olympischer Funktionär Thomas Bach.

Dirk Nowitzki verdrückte schon Freudentränen, als sich die Basketballer überhaupt für Olympia qualifiziert hatten. Mit großen Augen und einem breiten Lächeln zog er dann als Fahnenträger der deutschen Mannschaft ins Olympiastadion ein und erlebte eine Gala mit 14 000 Darstellern. Gekostet haben soll sie etwa 100 Millionen US-Dollar. Den Gastgebern war kein Aufwand zu groß, der Welt sein Potenzial vor Augen zu führen.

Für seine deutschen Sportkollegen war Nowitzki der Star der Spiele, der Star zum Anfassen. Der so beliebte und umschwärmte NBA-Profi schied mit dem deutschen Basketball-Team nach der Vorrunde aus, trug es aber mit Fassung: „Einmal mit anderen Sportlern im Olympischen Dorf zu leben, das war für mich die Erfüllung eines Lebenstraums.“

Zu einem weltbekannten Sportler stieg für ein paar Tage ein Gewichtheber auf. Matthias Steiner bot im Medienzeitalter alles für eine Seite-1-Story bot: Tragik, Tränen, Triumph. Der knapp 146 Kilo schwere Niederösterreicher im deutschen Team widmete seinen Olympiasieg seiner bei einem Autounfall verstorbenen Frau. Das Bild, wie Steiner die Goldmedaille und das Foto seiner Susann hochhielt, ging um den Globus. „SUPERSTEINER“ stand am Tag danach auf der Titelseite der „China Daily“. „Das, was ich verloren habe, ist das Wertvollste, wertvoller als jede Goldmedaille“, sagte der Superschwergewichtler.

Zum absoluten Superstar der Peking-Spiele aber wurde ein anderer. „Wenn ich der erste Mensch auf dem Mond war, ist Michael der erste auf dem Mars.“ Das sagte Mark Spitz über Michael Phelps. Der „Barracuda aus Baltimore“, der „fliegende Fisch“, stieg zum erfolgreichsten Athleten der olympischen Historie auf: Achtmal holte der US-Schwimmer im zauberhaften „Wasserwürfel“ Gold, sieben mit Weltrekord. Insgesamt 14 Olympiasiege - unerreicht. „Es war verdammt harte Arbeit, und am Ende war alles perfekt“, sagte Phelps. „Vielleicht sollte alles so sein, vielleicht war alles vorherbestimmt.“ Die deutschen Fans jubelten Britta Steffen zu: Gold über 50 und 100 Meter Freistil. Die Berlinerin weinte Tränen der Freude und Erleichterung an der Schulter von Franziska van Almsick.

Der Held der Laufbahn war Usain Bolt: Wie ein Orkan fegte „Blitz-Bolt“ durch die Leichtathletik-Szene und als er China verließ, nahm er drei Weltrekorde mit und hinterließ die Impression, dass im Sprint nichts mehr ist wie vorher. Die 100 Meter rannte er in unglaublichen 9,69 Sekunden, die 200 Meter in 19,30 und mit der jamaikanischen Staffel triumphierte er in 37,10.

Im Olympiastadion wollten die Gastgeber eigentlich Liu Xiang zum Heroen küren: Doch der Hürdensprinter fasste sich nach dem Fehlstart eines Konkurrenten im Vorlauf an den Oberschenkel und ging. Monatelang hatte sich der frühere Weltrekordler mit einer Achillessehnenverletzung herumgeplagt, wollte aber die Erwartungen von 1,3 Milliarden Chinesen nicht enttäuschen. Die atemlose Stille in der Arena, die entsetzten Gesichter der Zuschauer waren vielleicht der emotionalste Moment des so kühl kalkulierten Spektakels.

Trotzdem feierte das Reich der Mitte einen Erfolg nach dem anderen: Mit 51 Mal Gold und 100 Medaillen in 302 Entscheidungen war China erstmals die Sportnation Nummer eins. Bei der Schlussfeier versammelten sich die Athleten noch einmal im Olympiastadion. Ein Chinese war selbst von den obersten Rängen auszumachen: Der 2,29 Meter große Yao Ming, asiatische Basketball-Star in der NBA, ragte heraus wie eine Symbolfigur für eine überragende Sportnation.