Putins Prestigeprojekt wichtiger Prüfstein für Bach
Berlin (dpa) - Von Putin-Spielen will Thomas Bach nichts wissen. Obwohl er das umstrittene Prestigeprojekt des Kremlchefs ständig verteidigen muss, geht er auf Distanz. Der IOC-Präsident versucht, eine Grenze zu ziehen zwischen den nationalen Belangen von Russland und der Mission von Olympia.
Putin-Spiele? „Es sind Olympische Spiele in Russland“, sagte Bach in einem Interview der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Und: Man dürfe nicht den Fehler machen, „die politische Meinung über ein Land auf die Spiele zu übertragen“. Der Sport dürfe nicht als Knüppel der Politik missbraucht werden.
Die Dauerkritik am IOC-Hochglanzprodukt Sotschi, die seit Monaten auf die Ringe-Organisation einprasselt, lässt den Ober-Olympier aus Tauberbischofsheim stellenweise genervt wirken. Bach fordert eine Versachlichung der Diskussion. Dabei hat sich das Internationale Olympische Komitee (IOC) die allgemeinen Angriffe durch die Vergabe der Winterspiele an den Kurort an der Schwarzmeerküste selbst eingebrockt - auch den Vorwurf, sich wie ein Konzern zu verhalten, der nur nach Gewinnmaximierung strebe und deshalb neue Märkte erschließen wolle.
„Das Projekt damals war, dass Russland wieder ein Wintersportzentrum schaffen wollte. Nach der Auflösung der Sowjetunion musste dieses Wintersportland seine nationalen Meisterschaften in einigen Sportarten im Ausland austragen, unter anderem in Deutschland“, sagte Bach. „Das war das Projekt, das dem IOC vorgestellt wurde.“ Die ersten Winterspiele in Russland sind mit all ihren Begleiterscheinungen wie Terrorgefahr, Umweltsünden und Menschenrechtsverletzungen gleichzeitig die erste Herausforderung in seiner bislang knapp viermonatigen Amtszeit. Eineinhalb Wochen vor der Eröffnungsfeier am 7. Februar entschloss sich der Fecht-Olympiasieger von 1976 jetzt zum Schritt in die Offensive, sichtlich bemüht, die Anschuldigungen zu entkräften.
Ausgebeutete Wanderarbeiter in Sotschi? Das IOC habe sich in Zusammenarbeit mit der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch darum gekümmert. Diese Initiative habe, so Bach, sogar zu einem Treffen zwischen dem russischen Vizepremierminister und dem russischen Ombudsmann für Menschenrechte geführt. „Als Folge wurde eine Übereinkunft erzielt, dass kurzfristig 277 Millionen Rubel (5,86 Millionen Euro) an Löhnen nachbezahlt werden“, sagte er der „FAZ“.
Die massiven Umwelteingriffe in der Bergregion Krasnaja Poljana? In vielen Fragen sei die Umweltschutzagentur der Vereinten Nationen (UNEP) einbezogen worden. „Als Ausgleich für das für die Spiele in Anspruch genommene Land wurden dem Nationalpark 20 000 Hektar zugeschlagen. Dort ist der vom Aussterben bedrohte Schneeleopard wieder angesiedelt worden. Für jeden Baum, der gefällt wurde, sind mehr als drei wieder gepflanzt worden“, sagte Bach. Sotschi gleiche zudem „freiwillig die CO2-Belastung mindernd aus, nicht nur für die eigenen Emissionen, sondern auch für die Anreise der Medien, der Athleten und Funktionäre“.
Das russische Homosexuellen-Gesetz? In weltweit mehr als 70 Ländern sei Homosexualität verboten - im Gegensatz zu Russland, argumentierte Bach. „Ich verteidige diese Gesetze nicht, dass da kein Zweifel aufkommt“, ergänzte der Franke. „Sie sehen aber gerade, welche Wirkung die Vergabe der Spiele hervorruft. Die Augen der Welt richten sich darauf. Zur gleichen Zeit finden in Nigeria drakonische Verschärfungen der Gesetzgebung gegen Homosexualität statt, die kaum wahrgenommen werden. Die aktuellen Diskussionen sind also eine positive Wirkung der Spiele.“
Bach hat stets betont, das IOC bei seiner Neuausrichtung auch bei den Themen Glaubwürdigkeit, Unabhängigkeit und Nachhaltigkeit voranbringen zu wollen. Tatsächlich läuft seine Organisation bei den Reißbrett-Spielen in Sotschi Gefahr, für die Zwecke der russischen Gastgeber missbraucht zu werden - ähnlich wie 2008 in Peking.
Die Einrichtung von ausgewiesenen Protestzonen in Sotschi erinnert jedenfalls stark an die Sommerspiele in Chinas Hauptstadt. „Es gibt jetzt schon Menschen in Russland, die ihre Meinung frei äußern. Auch hierzulande bedürfen Demonstrationen der Genehmigung. Und dem Sicherheitsbedürfnis der Spiele muss Rechnung getragen werden“, meinte Bach. Protestzonen würden in vielen Bereichen angewendet, „etwa bei G8- und G20-Gipfeln in Frankreich, Kanada und anderen Ländern, weil hier der Ausgleich zwischen Sicherheitsbedürfnis der Veranstaltung und Demonstrationsfreiheit gesucht werden soll“. In Peking hatte es ebenfalls ausgewiesene Areale gegeben, in denen Demonstrationen erlaubt waren. Aus Furcht vor Strafen waren diese allerdings nicht genutzt worden.
Mit einem eindeutigen Urteil über Putin hält Bach sich zurück. Auf die Frage, wie gut er sich denn eigentlich nun mit dem Kremlchef verstehe, antwortete er: „Das ist keine Frage des Verständnisses. Wir sehen im IOC, dass die Zusagen, die die russische Seite gemacht hat, eingehalten worden sind.“ Es sei deutlich, dass Putin erfolgreiche Spiele wolle. „Und dass er in dem Zusammenhang die olympische Charta respektiert.“